Kulturhistorischer Rundgang
(C. Presche)
Geringfügig bearbeitete Fassung der Handreichung;
inhaltliche Auszüge sind als Aufsatz in der Hessischen Heimat
erschienen, 55. Jg. (2005), Heft 2, S. 49–55.
Aktualisierungen und Ergänzungen: April 2010, Dezember 2018, Mai
2019, März 2020.
Vorbemerkung
zu Randbebauung und Platzanlage
Die Randbebauung des
Brüder-Grimm-Platzes zeugt von insgesamt sechs wesentlichen Bauphasen. Die
städtebauliche Besonderheit des Platzes besteht also nicht in einer
homogenen Konzeption und Bebauung, sondern darin, wie verschiedene Zeiten mit
ein und derselben städtebaulichen Aufgabe umgingen – der
Überleitung zweier im 40°/320°-Winkel aufeinandertreffender
Blickachsen –, und wie sie dabei zugleich auf den bereits vorhandenen
Bestand reagierten, dabei zugleich immer wieder qualitätvolle
Lösungen findend. Eine derartige Situation dürfte in der
europäischen Stadtbaugeschichte einigermaßen einmalig sein. Zugleich
ist der Platz mit seiner Randbebauung auf das Engste mit der Kasseler
Geschichte und Kulturgeschichte verbunden.
-
Das Koppsche Haus Wilhelmshöher Platz 5, in der Blickachse
der Königsstraße, stammte aus der Anfangsphase, als der Platz noch
vor der Zollmauer lag und von einem Baumring als Erweiterung der Allee umgeben
war; das Gebäude gab später die Ausdehnung des Platzes vor. (Nicht
erhalten.)
-
Die Häuser
Königsstraße 1–3 und 2–6 wurden in einer ersten
Planungsphase nach 1803 erbaut, als eine südwestliche Erweiterung das
Gebiet des Platzes einschließen sollte. (Nr. 4 wiederaufgebaut; von Nr. 2
eine ursprünglich 1818 erbaute Erweiterung wiederaufgebaut; die anderen
Bauten nicht erhalten.)
-
Die
Torgebäude und die Häuser Nr. 2, 4 (Mittelteil) gingen aus einer
umfassenden Planung der Platzanlage von 1805 hervor: Das Tor bildet den
repräsentativen Auftakt der Wilhelmshöher Allee, der Platz ist als
Gelenk zwischen Allee und Königsstraße angelegt; aus Richtung der
Allee fällt der Blick auf die Längsseite mit Nr. 4, die die klassischen
Architekturformen des Stadtteils aufgreift, aber durch repräsentative Pilasterstellungen des Mittelteils zugleich aus der
übrigen Bebauung der Oberneustadt hervorgehoben ist (Hervorhebung nicht
durch Kontrast, sondern durch Steigerung des Formenaufwands). Diese Seite
sollte zusammen mit der geplanten symmetrischen Entsprechung der
gegenüberliegenden Platzseite in die Achse der Königsstraße
überleiten.
-
Die
napoleonische Besetzung vereitelte die Vollendung der Planung – der
städtebauliche Wert wird nun durch den historischen Zeugniswert
überlagert. Die Torgebäude blieben unverputzt, ohne Dekor, das Tor
wurde nicht errichtet; Nr. 4 umfasst in zwar veränderter Ausführung
nun die ganze Platzseite, aber die Absicht bleibt: mittlere Pilaster dienen zur
Hervorhebung, ebenso Blendarkaden der Seitenteile, und an den Seitenteilen
greifen Gurtgesimse die Traufhöhe von Königsstraße 2 auf; als
Gegenstück zu Nr. 4 entstand ein großer Verwaltungsbau (Nr. 3),
womit die Symmetrie von Platzseite und Platz aufgegeben wurde. Statt dessen sollte nun die Königsstraße bis zu
einem Residenzschloss auf dem Weinberg verlängert werden, so dass die
Achse der Königsstraße städtebaulich, nicht architektonisch
betont worden wäre.
-
Das Landesmuseum
von 1910–13 bringt einen neuen Gedanken ein, der wiederum die Gelenkfunktion
unterstreicht: der achteckige Turm dient als axialer Blickpunkt der
Königsstraße, die Schrägstellung des Gebäudes leitet
dagegen zur Wilhelmshöher Allee über, und die axiale
Erschließungsstraße ist konsequent in die ringförmige
Randstraße des Platzes einbezogen.
-
Nach
Kriegsschäden 1943 und 1945 (vgl. http://www.trolley-mission.de/de/kassel-nach-dem-zweiten-weltkrieg-luftbild-vom-rathaus-der-funffensterstrasse-und-der-karlskirche)
entstanden ab Anfang der 1950er Jahre mehrere Neubauten, die wiederum die Achse
der Königsstraße architektonisch betonen und damit die
Gelenkfunktion des Platzes stärken: Ein großer Gerichts- und
Amtsneubau (Nr. 2–3) bildet mit seiner nun durchgehenden Traufhöhe
ein Pendant zu Nr. 4, und an der Ecke zur Königsstraße heben sich
zwei höhere Kopfbauten mit Flachdächern aus den einheitlichen
Traufhöhen und Sattel- bzw. Walmdächern der Oberneustadt bewusst ab
(Königsstraße 1 und 2). Zugleich fangen sie den Platz an seiner
tiefsten Seite auf und fügen sich doch in die vorhandenen
Maßstäbe ein.
[Ergänzt 2019.]
Wilhelmshöher
Platz 5
Ansicht um 1900
Blick vom Friedrichsplatz durch die
Königsstraße auf das Haus Wilhelmshöher Platz 5,
rechts das Opernhaus mit dem Opernplatz
(Stich von J. Poppel
nach einer Zeichnung von L. Rohbock, nach 1821; Holtmeyer, Tafel 61,1)
-
Um 1799 für
den Regierungsrat Ulrich Friedrich Kopp
errichtet, als optischer Abschluss der Königsstraße, vielleicht
durch Simon Louis du Ry, der der
Schwager von Kopps Vater war. Kopp wurde 1803 zum Geheimen Kabinettsrat
ernannt, nachdem er 1802 außerdem schon Direktor des Hofarchivs geworden
war. (*)
-
1804
verließ Kopp Kassel und zog nach Heidelberg; vermutlich in diesem
Zusammenhang verkaufte er das Haus an den Oberappellationsgerichts-Präsidenten
und Geheimen Rat Ludwig Helmuth Heinrich
von Jasmund.
-
Im August 1806
von Kurfürst Wilhelm I.
angekauft, um Handlungsfreiheit für die Platzgestaltung zu bekommen.
-
Ab April 1807
bis 1809 an den Bankier Carl Jordis
vermietet; er war verheiratet mit Ludovica
Brentano (Schwester von Clemens Brentano). Das Haus war neben dem
Schlösschen Schönfeld, das Jordis etwa zeitgleich gekauft hatte, ein
wichtiger Treffpunkt der deutschen Romantik: Bettina von Arnim, Clemens
Brentano, Achim von Arnim, Jakob und Wilhelm Grimm. Hier wurde die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn fertiggestellt.
-
König Jérôme plante an
der Stelle des Hauses den Neubau eines Residenzschlosses, wofür Leo Klenze bereits Entwürfe erstellte.
-
1813/14 ging es
in kurfürstlichen Besitz über; in den 1820er Jahren Wohnung von Ferdinand Ortlöpp,
Bruder der Gräfin Reichenbach, der Geliebten Wilhelms II. Ab den 1830er
Jahren war es im Besitz der Frau des letzten Kurfürsten, Gertrud, Gräfin von Schaumburg,
Fürstin von Hanau; der zugehörende Park nach ihr
Fürstengarten genannt.
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1847/50–1856
Sitz der kurhessischen Eisenbahn(bau)direktion,
1860-62/63 Wohnung des hess. Generalmajors von Loßberg.
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Seit 1879 bis
zum Abbruch 1910 Eigentum der Stadt; zunächst weiterhin vermietet, ab 1886
von städtischen Ämtern genutzt (ab 1887 Sitz des Stadtbauamtes).
(*) Kopps Vater, der Oberappellationsgerichts-Direktor
und Geheime Rat Carl Philipp Kopp
(Schwager Simon Louis du Rys) starb bereits 1777 und kann somit nicht Bauherr
des Hauses sein (freundlicher Hinweis von Herrn Holger Hamecher,
30.11.2018, gemäß Gerland,
Kopp, S. 172; vgl. die Casselische Policey- und Commerzien-Zeitung
vom 20. Oktober 1777 [42. Stück], S. 626 zu den Begräbnissen vom
8.–14. Oktober). Bei dem 1796 und 1798 als
Grundstückseigentümer bezeugten Regierungsrat Kopp (vgl. Holtmeyer, Cassel-Stadt, S. 762,
Anm. 2) kann es sich nur um den Regierungsrat Ulrich Friedrich Kopp
handeln (vgl. die Landgräflich Hessen-Casselischen
Staats- und Adresskalender). – Dessen Bruder Carl Friedrich Kopp dagegen
lebte (entgegen der Angabe Gerlands) vor seinem Tod 1837 nicht am Wilhelmshöher
Platz, sondern im Haus Friedrichsstraße 81½ (vgl.
Adressbücher), heute Friedrichsstraße 25.
Das
Wilhelmshöher Tor
Entwürfe von Heinrich Christoph Jussow, 1805
(Jussow-Katalog,
S. 217)
Jussow (1754–1825) war kurfürstlicher
Oberbaudirektor; nach 1785 hatte er bereits am Wilhelmshöher Schloss
mitgewirkt, wo der Mittelbau ab 1791 nach seinen Entwürfen errichtet
wurde. Die Umgestaltung des Parks im englischen Stil, zahlreiche
Nebengebäude und die Löwenburg stammen ebenfalls von Jussow. Er gilt als einer der führenden Baumeister des
Klassizismus in Deutschland.
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Die heutige
Wilhelmshöher Allee wurde ab 1767 angelegt, führte im letzten
Stück zunächst aber über das Königstor in die Stadt; erst
1776 wurde der Verlauf geradlinig fortgesetzt. Seit 1778 durfte dieses
Stück bebaut werden (zunächst Garten- und Sommerhäuser).
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Kurz nach der Vollendung
des Wilhelmshöher Schlosses 1803 begannen erste Planungen für
den Auftakt der Wilhelmshöher Allee. Das endgültige Konzept für
Platz und Tor entwickelte Jussow 1805.
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Für das Tor
legte er zuletzt 3 Alternativen vor: zwei Varianten als römischer Triumphbogen,
unter Rückgriff auf frühere Entwürfe für den Mittelbau des
Wilhelmshöher Schlosses, sowie ein griechisches Tor in Anlehnung an das
Brandenburger Tor in Berlin. Die Breite der römischen Triumphbogen
entspricht etwa der ursprünglichen Straßenbreite. Das Tor sollte
dann ohne die Figurenbekrönung realisiert werden. (Ein weiterer Entwurf
mit einem dreiachsigen dorischen Tor in der Mitte (MHK., Graphische Sammlung,
GS 5865 und 5866, mit weiteren Detailzeichnungen) ist trotz der ausführlichen
Vermassung nur als Vorentwurf zu werten, da die Torgebäude noch nicht dem
ausgeführten Zustand entsprechen: So schließen die Fenster des 2. OG
mit geraden Stürzen, und das Kranzgesims sitzt deutlich niedriger, um sich
über den Seitenteilen des Tores fortzusetzen; ob die Portiken
auf der Straßenseite in der Aufrisszeichnung nur aus
Darstellungsgründen fehlen oder auch erst später in die Planungen
aufgenommen wurden, ist unklar – im Lageplan sind sie jedenfalls
eingetragen. Allerdings sind die Rundbögen im 2. OG schon am
nördlichen Gebäude einskizziert, und in
einer Zwischenphase der Planungen wurde diese Änderung dann aufgenommen;
das Kranzgesims aber blieb in diesem Entwurf noch in der alten Höhe und
erfuhr auch weiterhin seine Fortsetzung am Tor (GS 6249). Erst in den drei oben
abgebildeten Entwürfen entsprechen die Seitengebäude dem dann
ausgeführten Zustand, indem auch das Kranzgesims angehoben wurde, unter
Verzicht auf die anfangs geplante Attika.) Vgl. https://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/0/T15680/0/0/0/0/0/objektliste.html
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Die
Torhäuser sollten verputzt und mit einer Quaderung
sowie Lorbeerkränzen und Trophäen aus Bronze versehen werden. Die
geplante Quaderung ist heute noch an den behauenen
Werksteinen neben den Türen erkennbar.
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Nach der
Besetzung Hessens durch Napoleonische Truppen im November 1806 und der
Errichtung des Königreichs Westphalen 1807 blieben Tor und Platz
unvollendet. Die Bauteile für das eigentliche Tor sollen bereits fertig
bearbeitet gewesen sein.
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Im
südlichen Gebäude war die Wache untergebracht, ansonsten war es
vermietet oder Sitz verschiedener Behörden, das nördliche diente
verschiedenen Zwecken; u.a. wohnten hier im 2. OG 1814–1822 die
Brüder Grimm, außerdem Nutzung durch die Oberzolldirektion und die
Kommission für Handel und Gewerbe; in preußischer Zeit
Provinzial-Schulkollegium.
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Im Zweiten
Weltkrieg brannte das nördliche Gebäude aus, wurde im
Äußeren aber wieder hergestellt. Das südliche Gebäude
wurde um 1977 für museale Zwecke entkernt und neu ausgebaut.
Die Wohnung
von Jakob, Wilhelm und Lotte Grimm im nördlichen Torgebäude, 1814-22
Lotte in ihrer Stube (Aquarell von Ludwig Emil Grimm; Grimm,
Erinnerungen, Tafel VII) |
Blick aus der Stube der Brüder (Aquarell von Ludwig Emil Grimm; L. E. Grimm-Katalog, S. 147) |
Blick vom Altan der Grimmschen Wohnung nach
Wilhelmshöhe
(Zeichnung von Ludwig Emil Grimm; Photographie nach unbekannter Vorlage,
Stadtmuseum Kassel)
Grundrißskizze Wilhelm
Grimms, mit Eintragung der Wandfarbe:
A, B und D dunkelgrün,
C hellgelb,
E hellblau.
Aus einem Brief Wilhelms an Jakob, 5.5.1814.
„Geräumig ist es, wenigstens ist
so viel Platz als im Alten, eher mehr und da jetzt überall Ordnung ist,
ist vieles gewonnen, z.B. eine Kammer habe ich blos
für alte Bücher, Paquete, unser Hildebrandslied u.s.w.
eingerichtet. Ich freue mich, wenn Dir alles gefällt [...]. A ist unsere
Stube, das schwarz Angestrichene sind die Bücherschränke 1.2.3.
die großen 4.5. die kleinen, auf 5 steht der Göthe.
Zwischen den Fenstern die Commode b und Spiegel, a.
ist das Canape, ڤ sind Ofen. [...] In B
sind 6.7.8. die Bücherschränke aus dem gelben Cabinet, 9. der
große offene Schrank, der sonst hinten in der gelben Stube stand. In D
schlafe ich, welches mit B. von einem Ofen soll geheizt werden können, +++
ist eine Gitterwand, die Thüren sind überall
bequem aus einer Stube in die andere. E ist eine große Saalähnliche Stube,
die ich der Lotte gegeben, theils weil sie die
Stadtaussicht gern hat, theils weil er uns zu
weitläufig und unbequem wäre. F ist ein dunkles Cämmerchen. C ist noch neutral, kann aber im Winter geheizt
werden und zu uns gezogen. Es sind lauter Windöfen
d.h. mit Röhren, wo das Feuer in der Stube muß
angemacht werden, was seine gute und schlimme Seite hat. Außer Boden,
dunklem Raum für Küchengeräthe
sind noch zwei Dachstübchen da, tapeziert und mit Ofen, sehr schön,
so daß ich einmal Lust hatte, eins mit der
schönsten Aussicht zur Arbeitsstube zu machen, wenn es sonst gegangen
wäre. Nun hat die Lotte eins zum Schlafen, das andere die Magd inne
[...].“
(Skizze und Zitat aus Hennig / Lauer, S. 199f.)
Die
ursprüngliche Konzeption Jussows für die
Platzrandbebauung
Wilhelmshöher Platz 2 (Stadtmuseum Kassel, Neg.980.28) |
Entwurf für den Mittelteil der
nördlichen Platzseite (Zeichnung von H. Chr. Jussow; Jussow-Katalog, S. 32) |
Ausführungsentwurf für das
Eckhaus Königsstr.1 (Zeichnung von H. Chr. Jussow; |
Symmetrieachse des Platzes ist die
Königsstraße; an Süd- und Nordseite waren zwei dreiteilige
Baublöcke geplant; davon nur das Haus Wilhelmshöher Platz 2 und der
Mittelteil der gegenüberliegenden Seite (in veränderter Form)
ausgeführt. Die Eckhäuser an der Königsstraße waren
bereits um 1804–06 errichtet worden und folgten noch keinem einheitlichen
Konzept.
Allerdings wurden die Häuserzeilen
Königsstraße 1–5 und 2–6 bereits in sich aufeinander
abgestimmt; vgl. den Ausführungsentwurf https://www.bildindex.de/document/obj20944102?medium=STMP_II_03940_004_r,
der die Entwürfe verschiedener Architekten zu einer Einheit umformte (zum
früheren Stand vgl. Fenner 2006, Abb. 2) [ergänzt März
2020].
Ein erstes Konzept Jussows
für die Platzrandbebaung, das noch einen
früheren Planungsstand der Torgebäude enthält und eine etwas
andere Grundstücksaufteilung der Längsseite bedeutet hätte, ist
überliefert:
Nordwestseite:
https://www.bildindex.de/document/obj20949009?medium=STMP_II_03940_003_r&part=3
Westseite (Tor):
http://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/11472/
Südwestseite (mit umgebauten ehem. Koppschen/Jasmundschen Haus):
https://www.bildindex.de/document/obj20949009?medium=STMP_II_03940_001_r&part=1
Südseite:
https://www.bildindex.de/document/obj20949009?medium=STMP_II_03940_002_r&part=2
Dass Jussow bei
der Dimensionierung des Platzes auch die Blickbeziehung von der Kreuzung
Königsstraße/Fünffensterstraße im Blick, von wo aus die
gesamte Südwestseite hätte überblickt werden können, wird
aus einem Lageplan deutlich, der zudem eine kreisrunde Innenfläche mit
einem Reiterdenkmal (?) oder (darüber skizziert) einer Säule im Mittelpunkt
zeigt:
https://www.bildindex.de/document/obj32039005?medium=fmla3675_81
Die spätere Grundstücksaufteilung
der Nordwestseite, gemäß der das Haus Nr. 2 erbaut wurde, ist dann
bereits in diesem Lageplan eingetragen:
http://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/11474/
[Ergänzt März 2020.]
Rekonstruktionsskizze der geplanten
Nordwestseite (C. Presche)
(zur Vergrößerung bitte
anklicken)
Beim Betreten der Stadt fällt der
Blick auf den repräsentativen Mittelteil des südlichen Blockes; der
gleichartige nördliche Häuserblock hätte die Symmetrie zur
Platzachse hergestellt. Auf diese Weise hätte die Randbebauung den
Besucher auf die Königsstraße hingeführt. Bauherren waren
Kasseler Bürger:
Schmiedemeister Henrich und Nicolaus Kochendörffer
(Wilhelmshöher Platz 2),
Maurermeister Friedrich Burkhard
Seidler (angrenzendes Grundstück),
Bibliothekar und Hofrat Ludwig
Völkel (Königsstraße 1),
Branntweinschenk Wilhelm Ritz
(Mittelteil von Wilhelmshöher Platz 4).
Mit dem Ende des Kurstaates 1806 unterblieb
das Bauprojekt von Seidler, Ritz verkaufte seine Baustelle.
Die Arnoldsche Tapetenfabrik
Ansicht um 1900
(Stadtmuseum Kassel)
Dieses Gebäude vermittelt in seiner Dreiteiligkeit am besten einen Eindruck von der
ursprünglichen Planung Jussows, wenn auch die
Gestaltung leicht davon abweicht und die hohe Attika über dem Mittelteil
fehlt.
-
Der Mittelteil
war noch 1805 vom Branntweinschenk Ritz
begonnen worden, der die Baustelle 1806 aber an den damaligen westphälischen Kriegsminister Joseph Morio
verkaufte.
-
Von Morio kam das Gebäude in Staatsbesitz und wurde um die
Seitenteile erweitert (ehemals mit Balkonen); es diente folgenden
Persönlichkeiten als Wohnung:
-
Erster
Almosenier Karl Friedrich Freiherr von
Wendt, Bischof von Hildesheim,
-
Großalmosenier
Ferdinand Freiherr von Lüninck, Fürstbischof von Corvey,
-
Flügeladjutant
König Jérômes, Danloup Vedun,
-
Kammerherr Baron Marinville,
-
Graf von Oberg,
-
Staatsauditeur Baron von dem Busche.
-
Nach dem Ende
des Königreichs Westphalen 1813 vom Kurfürsten in Erbleihe an den
Tapetenfabrikanten Johann Christian
Arnold vergeben (1758–1842; 1789 erste Papiertapetenfabrik
Deutschlands, zuerst in der Wildemannsgasse).
-
EG und
Nebengebäude: Wohnung der Arnolds und Fabrik,
-
OG: vermietet;
das 1. OG ab 1855/56 an den früheren Oberhofmarschall Wilhelm Otto von der Malsburg und seine Frau Caroline, die nach dem Tod ihres Mannes 1857 die Wohnung bis zu
ihrem Lebensende 1863 bewohnte.
In dieser Zeit war das
Gebäude ein bedeutender Treffpunkt für Künstler:
-
Carl Heinrich Arnold (1793–1874)
war zugleich ein begabter Maler (Schüler des Pariser Malers Louis David)
und förderte junge Talente, u.a. Adolph
(von) Menzel (1815–1905) der u.a. in diesem Haus 1847 in monatelanger
Arbeit den Kasseler Karton (Huldigung
Heinrichs I. 1248; 3,2m * 5,3m) zeichnete.
Weitere Gäste waren:
-
Karl Friedrich Schinkel (Architekt,
Berlin; 1781–1841),
-
Daniel Engelhard (Architekt, Kassel;
1788–1856; Vorbild des Architekten in Goethes „Wahlverwandtschaften“),
-
Christian Daniel Rauch (Bildhauer,
Berlin; 1777–1857),
-
Werner Henschel (Bildhauer, Kassel;
1782–1850),
-
Robert Wilhelm Bunsen (Chemiker,
1811–1899; 1836–1839 in Kassel).
Auch Kammermusikabende mit dem bedeutenden
Kasseler Hofkapellmeister Louis Spohr
(1784–1859; ab 1831 in Kassel) fanden hier statt.
-
Wilhelm Otto und Caroline von der Malsburg förderten Spohr tatkräftig. Wöchentlich luden sie zu
Kammermusikabenden ein; in der früheren Dienstwohnung
(Königsstraße 45) hatten sie u.a. Felix Mendelssohn-Bartholdy und
Franz Liszt zu Gast. Ständige Gäste waren u.a. die Kasseler Maler
-
Ludwig Emil Grimm (1790–1863),
-
August von der Embde
(1780–1862),
-
Ludwig Sigismund Ruhl (1794–1887),
-
Carl Glinzer (1802–1878).
Streichquartett im Hause Spohr (in der
Mitte sitzend; Skizze von Carl Heinrich Arnold)
(Homburg,
S. 114)
-
1851 ging das
Gebäude in den Besitz der Familie Arnold über.
-
1883 wurde die
Tapetenfabrik geschlossen.
-
Ab 1926 Sitz der
Tageszeitung Kasseler Post, die 1969
in der Hessischen Allgemeinen aufging. Nachfolgend
Erweiterungen an der Friedrichsstraße (Mittelteil neu,
Südostflügel aufgestockt).
-
Im Zweiten
Weltkrieg gegen Kriegsende schwer beschädigt (Dach, Inneres, der
südwestliche Seitenteil jedoch erhalten), wurde das Gebäude
anschließend rekonstruiert (der Mittelteil wurde in den Obergeschossen
neu errichtet); das moderne Dach beeinträchtigt leider die
ursprüngliche Dreiteilung.
Friedrichsstraße
25
-
Errichtet um
1824/25, Bauherr ist der Maurermeister Andreas Krauss (Kraus). Wohnung des
Theatermalers Georg Primavesi
und des Malers Eduard Primavesi,
Wohnung des Staatsministers Carl
Friedrich von Kopp. Zum Gebäude und seiner Bedeutung vgl.
ausführlich http://www.presche-chr.de/christian/Friedrichsstrasse_25_Text_a_klein.pdf.
-
Nach dem Krieg,
1946/47, ließ die Witwe Alfred Scheibes († 1946), Anna Scheibe, das
Nachbarhaus Friedrichsstraße 25, das schon vor dem Krieg hinzuerworben
worden war, als Hotel instand setzen (Architekt: Otto Vogt); geplant war dabei
schon eine Einbeziehung der angrenzenden drei Achsen von
Königsstraße 2, mit zwei Gasträumen, hofseitig angefügt
die Küche. Nach einer Umgestaltung durch Arnold Bode wurde das Hotel am 1.
April 1949 eröffnet. Im Frühstückszimmer, rechts neben der
Durchfahrt, am Treppenhaus, hingen drei Gemälde Arnold Bodes, die aus den
Trümmern des alten „TaW“ gerettet
worden waren (heute im Bestand des Stadtmuseums Kassel).
-
Das Vorderhaus
erhalten, lediglich Dach und Zwerchhäuser zerstört, im Inneren
Treppenhaus und 2. OG 1946/47 in veränderter Weise erneuert.
Friedrichsstraße 25, Ende der 1930er
Jahre
(Stadtmuseum Kassel, Pae3/62/41)
Königsstraße
2
-
Um
1804–1806 errichtet. Bauherr war Maurermeister Christian Schön. Zum Gebäude und seiner Bedeutung vgl.
ausführlich http://www.presche-chr.de/christian/Friedrichsstrasse_25_Text_a_klein.pdf.
-
1814 von Landgraf Friedrich, einem Bruder
Kurfürst Wilhelms I., erworben, nach seinem Tod 1837 an seinen Sohn Wilhelm übergegangen. Nach dem
Landgrafen ist die Friedrichsstraße benannt, und er ist der Stammvater
der heutigen Linie des Hauses Hessen; an der Ecke zur Karlsstraße stand
auch der zum Palais zugehörige Marstall (später
Friedrichsstraße 32). Seit 1818 wohnte auch die Familie des ältesten
Sohnes Wilhelm in dem Palais, unter
anderem Friedrichs Enkelin Louise,
spätere Königin von Dänemark („Schwiegermutter
Europas“).
-
Um 1818
Erweiterung des Palais entlang der Friedrichsstraße, um 3 Achsen.
-
Teile des Palais
waren schon in den 1830er vermietet; so befand sich hier die Wohnung des
kurhessischen Ministers Ludwig
Hassenpflug (1794–1862), Schwager der Brüder Grimm.
-
Um 1851/52
verkauft, seitdem Privatbesitz.
-
Ca.
1897/98–1899 durchgreifender Umbau (nach Kauf durch den Rentier Isaak); vom 1.7.1899 bis März 1905
war die Murhardsche Bibliothek im 1. OG
untergebracht, ab 1900/01 führen die Adressbücher im EG das Kaisercafé (Abb. unten), das nach
1918 Kafee Hessenland hieß und um Bar und
Nachtkabarett Perle erweitert wurde.
Auf den Bühnen in Café und Perle
traten u.a. Otto Reutter und Joachim Ringelnatz auf; auf dem
nächtlichen Rückweg zum Hotel Schirmer dichtete Ringelnatz über
„die Karpfen in der Wilhelmsstraße 15“ (Feinkostgeschäft
Klippert).
-
Ab 1932 firmiert
der gesamte Betrieb als TaW
(Theater am Wilhelmshöher Platz)
-
1936 wird das TaW durch die Architekten Paul und Theo Bode umgebaut, die Gestaltung übernimmt ihr Bruder Arnold
Bode.
-
In den letzten
Kriegstagen 1945 (8. März); Bezirkskonservator Friedrich Bleibaum stuft das Gebäude,
dessen Außenmauern erhalten geblieben waren, als
„wiederherzustellen“ ein.
-
In dem
dreiachsigen Erweiterungsbereich von ca. 1818 richten die Brüder Bode (Gestaltung durch Arnold Bode) zum Februar 1950 in den erhaltenen
Außenmauern einen Konferenzsaal des angrenzenden Hotels Hessenland ein (vgl. Friedrichsstraße 25).
-
Im Februar 1951
begannen auf dem Grundstück Königsstraße 2 die Abbrucharbeiten;
vorausgegangen waren erfolgreiche, fast dreimonatige Verhandlungen über
die Bewilligung von ERP-Fördermitteln (Gelder des Marshall-Plans, die von
der Kreditanstalt für Wiederaufbau vergeben wurden). Die Entwürfe
für den Neubau hatte Paul Bode erstellt. Die Stahlskelettkonstruktion
umfasste das gesamte Grundstück Königsstraße 2; vom
Vorgängerbau wurde an der Friedrichsstraße ein dreiachsiger
Fassadenabschnitt einbezogen und an das Bestandsgebäude
Friedrichsstraße 25 angepasst. Das Erdgeschoss hinter diesen drei Achsen
nahm einen einzigen Saal auf, der durch eine breite Falttür mit einem
angrenzenden, weitaus größeren Gesellschaftssaal (bzw. Ballsaal)
verbunden wurde. - Die Räume
des Neubaus wurden schrittweise in Betrieb genommen: zuerst im November 1951 Saal
und Hotelzimmer hinter jenen drei Achsen, im Anschluss an das Bestandsgebäude,
dann immer weiter bis zur Königsstraße; den Abschluss bildeten im
Laufe des Jahres 1953 nacheinander Empfangshalle und Teeraum, Gesellschaftssaal
und Café, der Dachgarten und zuletzt das Restaurant „Grille“
im Untergeschoss.
Das Kaisercafé
(Ansichtskarte)
Blick in die Königsstraße, um /
kurz nach 1892;
bis zur Fünffensterstraße stehen
links die Häuser 1–5, rechts 2–6, dahinter der Messplatz mit Messhaus
(Ansichtskarte)
Königsstraße
4
-
Um 1804/05
errichtet; 1809–1813 Besitz des Bankiers Jordis-Brentano, löste W. P. Nr. 5 als Romantikertreffpunkt
ab.
-
Danach Eigentum Christoph von Rommels, Direktor des
Haus- und Staatsarchivs und der Landesbibliothek, Historiker (1781–1859).
-
Zeitweise dort
die Wohnungen des Hofbaumeisters Johann
Conrad Bromeis (1788–1855; u.a. Residenzpalais,
Umbau des Ballhauses) und des Malers Wilhelm
Nahl; im 20. Jh. Café Däche.
-
Aufgestockt
(ehemals wie Königsstraße 2, an der Rückseite sind noch die
alte Traufhöhe und das Zwerchhaus erkennbar), nach Kriegsschäden
(gegen Kriegsende, Dach und Inneres) wiederhergestellt.
Königsstraße
1
-
Errichtet 1805
für den Bibliothekar und Hofrat Ludwig
Völkel, nach Plänen Jussows. Vgl. http://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/11493/
und http://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/11492/
und https://www.bildindex.de/document/obj20944102?medium=STMP_II_03940_004_r
-
In der westphälischen Zeit Generaldirektion des
Staatsschatzes bzw. Hohe Polizei.
-
Nach 1814 von
der Künstlerfamilie Ruhl erworben; Wohnhaus des Bildhauers Johann Christian Ruhl (1764–1842),
des Architekten Julius Eugen Ruhl
(1796–1871; u.a. Ständehaus) und des Malers und Akademiedirektors
Ludwig Sigismund Ruhl
(1794–1887).
-
In diesem Haus
befand sich bis 1866 auch die Wohnung des österreichischen Gesandten.
-
Offenbar in den
letzten Kriegstagen Dach und Inneres zerstört, von Bezirkskonservator Friedrich Bleibaum
als „wiederherzustellen“ eingestuft, die erhaltenen Mauern danach
jedoch abgebrochen.
Blick auf die Ecke Friedrichsstraße /
Obere Königsstraße
(Stadtarchiv Kassel)
Das
Fürstenhaus
Das Fürstenhaus vor 1928
(Ansichtskarte)
Das sog. Fürstenhaus,
Wilhelmshöher Platz 3, mit dem Nachbarhaus Wilhelmshöher Platz 2 und
dem nördlichen Torgebäude vereinigt:
-
1808 vom westphäl. Staat durch Jussow
an der Stelle zweier Grundstücke als Amortisationskasse errichtet. Vgl. https://architekturzeichnungen.museum-kassel.de/0/T15588/0/0/0/0/0/katalog.html
-
Nach dem Ende
der Fremdherrschaft diente der Gebäudekomplex zunächst 1813/14 als
Palais der Kurfürstin Wilhelmine Caroline (das Landgrafenschloss an der
Fulda 1811 abgebrannt), ab 1814 wurde er zur Aufnahme hoher Gäste
bestimmt; 1817–1820 Wohnsitz der geisteskranken Herzogin Friderike von
Anhalt-Bernburg, geb. Prinzessin von Hessen, ab 1820–1823 Palais des
Prinzen Friedrich (später Mitregent und Kurfürst Friedrich Wilhelm
I.), außerdem Palais dessen Schwester Carolina (1799–1854).
-
Dabei gibt es
zahlreiche Verbindungen zu den Brüdern Grimm, die 1814–1822 im
zugehörenden nördlichen Torgebäude wohnten: Bei der
Kurfürstin war Henriette Zimmer Hofdame: die Tante der Brüder Grimm,
die sie während ihrer Schul- und Studienzeit in Kassel und Marburg
entscheidend unterstützt hatte. Das Torgebäude hatte mit dem
Nachbarhaus W. P. 2 (vgl. oben) ein gemeinsames Treppenhaus, so dass die
Brüder Grimm vermutlich auch den Eingang von W. P. 2 als Haustür
nutzten. Prinz Friedrich erhielt in dem Palais ab 1820 einmal wöchentlich
Privatunterricht durch Wilhelm Grimm, und die Brüder Grimm waren
häufig bei Ludwig von Below und seiner Familie zu Gast, der als Gouverneur
des Kurprinzen (Wilhelm II.) in dem Gebäude wohnte.
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In Nr. 2 war
1858–1870 die Oberbaudirektion untergebracht. Bereits ab 1851/52
Dienstwohnung des Oberhofbaumeisters Gottlob Engelhard (1812–1876; u.a.
Hauptbahnhof), ab 1864 seines Nachfolgers Heinrich von Dehn-Rotfelser
(1825–1885; u.a. Gemäldegalerie / heute Neue Galerie), bis ca.
1875/76.
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Nach dem
Deutschen Krieg und der Annexion Kurhessens durch Preußen 1866 Sitz des
Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau (ab 1870).
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Im Zweiten
Weltkrieg ausgebrannt, von Bezirkskonservator Friedrich Bleibaum als
„wiederherzustellen“ eingestuft, dennoch abgebrochen; Neubau des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofes samt Verwaltungsgericht und Staatsbauamt.
Die Position des früheren Haupteingangs wird übernommen, anstelle des
Balkons dienen im Obergeschoss Fenstertüren als Betonung. Das Gebäude
ist ein wichtiges Bindeglied von den traditionellen Architekturformen der 20er
und 30er Jahre zur Architektur der 50er Jahre (vgl. http://www.architektursalon-kassel.de/Presche-3.pdf).
Das Fürstenhaus nach 1928
(Stadtarchiv Kassel)
Kandelaber
und Einigungsdenkmal
Als der Baumring um den Platz immer dichter
wurde, erfolgte um 1877 zunächst die Aufstellung eines großen
Kandelabers vor einer halbrunden Pergola, als Blickpunkt der
Königsstraße.
Blick durch die Königsstraße
1891;
im Hintergrund überragt das neue
Gebäude des Wilhelmsgymnasiums in der Humboldtstraße (1886) das
ehem. Koppsche Haus
(Köttelwesch,
S. 56f.;
vgl. https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/02008090547810/1/)
Das Einigungsdenkmal um 1900
(Ansichtskarte)
1892 Stiftung der Brüder Heinrich und Johannes Wimmel an die Stadt Kassel, u.a. für Wohnungsbau,
wohltätige Zwecke und die Verschönerung von Plätzen.
1898 Enthüllung des Einigungsdenkmals:
-
Bildhauer: Karl Begas (1845–1916), Professor
an der Kasseler Kunstakademie (1890–1898) Bruder des Berliner
Bildhauers Reinhold Begas.
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3 Medaillons: In
der Mitte Kaiser Wilhelm I., an den Seiten Bismarck und Moltke.
-
Skulpturengruppe:
Clio, im Buch der Geschichte blätternd, daneben ein Genius, der das Medaillon
des Kaisers bekränzt.
Kandelaber und Pergola wurden zum
Louisenplatz versetzt.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bronzeteile
1942 abgenommen und eingeschmolzen.
1964 Beschluss der Stadtverordneten, an
dieser Stelle ein Denkmal für die Brüder Grimm in Form eines
Terrassenbrunnens aufzustellen.
1965 Versetzung des Einigungsdenkmals in
den Fürstengarten, der Terrassenbrunnen allerdings nicht ausgeführt.
(Die Reliefs des Denkmals wurden nach
Gipsabgüssen in der Mitte der 1980 Jahre nachgegossen.)
Das
Hessische Landesmuseum in seiner Umgebung
Der Architekt Theodor Fischer (1862–1938) gilt als einer der wegweisenden
Architekten vom Anfang des 20. Jh. in Deutschland. 1893–1901 Stadtbaurat
in München, 1901 und 1908–1928 an der TH München, 1901–1908
an der TH Stuttgart; v.a. dort bildete er zahlreiche bedeutende Architekten
aus, u.a. Martin Elsässer und Bruno Taut, und war prägend für
die Entwicklung der deutschen Baukunst vor dem Ersten Weltkrieg und in der
Weimarer Republik. Er betrachtete Architektur und Städtebau als Einheit
und berücksichtigte stets die regionalen Bauformen. Über seine
Lehrtätigkeit hinaus besaß er großen Einfluss durch zahlreiche
Publikationen. Nach ihm ist ein Nachwuchsförderpreis des Zentralinstituts
für Kunstgeschichte Deutschland benannt.
Der Bau des Landesmuseums:
-
1906 erste
Verhandlungen zwischen Stadt und Staat über einen Museumsneubau; mit dem
Neubau des Rathauses (1905–1909) zog das Stadtbauamt aus dem
Gebäude aus; das Grundstück wurde dem Staat geschenkt.
-
1907 erste
Entwürfe Theodor Fischers; Museumsdirektor Johannes Boehlau, der Fischer
persönlich kannte, hatte ihn für das Projekt gewinnen können.
Bis 1909 jedoch heftige Auseinandersetzungen mit dem Kasseler Stadtbaurat Paul
Höpfner über die Position des Gebäudes: Höpfner
wünscht eine frontale Ausrichtung auf die Obere Königsstraße,
Fischer eine Parallelstellung zur Wilhelmshöher Allee.
-
1910 Baubeginn,
1913 Eröffnung.
Konzeption des Gebäudes:
-
Wirkungsvoller
Abschluss der Königsstraße → Turm.
-
Überleitung
zur Wilhelmshöher Allee → Schrägstellung des Gebäudes, das
schon im Blick aus der Königsstraße deren Richtung angibt.
-
Den
symmetrischen Torgebäuden, die den Platz einseitig beherrschen, wird die
symmetrische, höhere Fassade des Landesmuseums gegenübergestellt.
-
Da das
südl. Torgebäude im Blick von der Straße aus die Symmetrie der
Museumsfassade stört, wird diese durch eine Allee wieder betont, die
direkt senkrecht auf den Turm zuführt. Allee und Vorplatz sind geschickt
in die Ringstraße des Platzes eingefügt, die die Randbebauung
erschließt. (Vgl.
https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1442907093041/1/
)
[Stand
2005:] ↔ In den offiziellen Museumsplanungen wird diese Allee aufgegeben;
der geplante Verbindungsbau zur Torwache hebt die Symmetrie der Museumsfassade
auf. [Stand 2018: Inzwischen ist nach 2011 eine denkmalgerechte Sanierung von
Museumsgebäude und Vorplatz erfolgt, unter Erhaltung der Allee und des
Vorplatzes – ausdrücklich aufgrund des breiten
bürgerschaftlichen Engagements aus Kassel.]
-
Schrägstellung
zur Königsstraße, zugleich Höhen- und Breitenstaffelung der
Bauteile. Die beherrschende Stellung am Platz wird dadurch unterstrichen, sowie
durch den hohen Travertinsockel, der nach hinten z.T.
im Gelände verschwindet. Zugleich verdecken die bereits bestehenden
Bäume der Platzfläche das schräggestellte Museumsgebäude zu
einem großen Teil, geben aber in der Mitte (breiterer Abstand) den Blick
auf den Turm frei, der als vertikal aufragender Endpunkt der
Königsstraße umso stärker betont wird (als Gegensatz zu den
Fluchtlinien der Straße, die in der Perspektive hier zusammenlaufend).
↔ Die Wirkung des Museumsgebäudes hinter der
Platzbepflanzung war damit genau das Gegenteil der heutigen Situation:
Ursprünglich wurde die Platzseite im Blickfeld der Königsstraße
somit zunächst von den Bäumen geschlossen, hinter denen erst das
schrägstehende Landesmuseum aufragte; Sockel und Dach waren sichtbar, der
Blick auf den Turm fokussiert, und das ganze Gebäude trat erst beim Gang
durch die axial zuführende Allee in Erscheinung. (Vgl. https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1362051060874/1/
https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1442916676668/1/
)
Heute ist der Blick aus Richtung Königsstraße auf den
Turmeingang und den Gebäudesockel durch die Gehölze versperrt,
dafür aber ist das gesamte Gebäude darüber zu sehen, die
Fokussierung auf den Turm aufgehoben.
-
Dunkle Turmhalle
→ helle, breite, aber niedrige Eingangshalle → enger dunkler
Durchgang im Treppenhaus → Antikensaal: groß, hoch,
gleichmäßiges hoch einfallendes Seitenlicht, das inhaltliche und
räumliche Zentrum des Gebäudes. Von hier aus in der Längsachse
Durchblicke in das OG:
Ehrensaal im Turm – Treppenhaus
– Antikensaal – OG des rückwärtigen Flügels (diese
letzten Öffnungen seit 1936 geschlossen, die Gitter im Magazin).
[Stand
2005:] ↔ In den offiziellen Planungen: seitliche Öffnungen des
Sockels an der Hauptfassade für neue Eingänge; dadurch
veränderte Erschließung, Aufbrechen der massiven Wirkung des
Sockels. Im Inneren durch eine Überdachung der Höfe Gefahr einer
weiteren Konkurrenz für die Hauptachse. Hier ist sehr genau darauf zu
achten, wie die Planungen erfolgen.
[Stand
2018: Inzwischen ist nach 2011 eine denkmalgerechte Sanierung des
Museumsgebäudes durch das Büro HG Merz erfolgt, die 2016
abgeschlossen wurde und der historischen Konzeption des Gebäudes Rechnung
trägt – ausdrücklich aufgrund des breiten
bürgerschaftlichen Engagements aus Kassel für das Gebäude. Die
Durchblicke zwischen Antikensaal und 1. OG sind wiederhergestellt worden.]
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An der Seite zur
Weinbergstraße wurde nun auch die Fläche vor der Murhardschen
Bibliothek neu gestaltet (vgl. https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/020110113117201/1/
) Die neue dreieckige Grünfläche wurde axial auf das
Bibliotheksgebäude bezogen, dessen Freitreppe seitlich ausgerichtet ist;
der westliche Weg führt dicht am Treppenturm des Museums-Hörsaals
vorbei und bildet damit zugleich den Zugang zum angrenzenden
Fürstengarten. Die Grünfläche samt Bäumen ist
wirkungsvoller, halb verdeckender Vordergrund für die Bibliothek, der
erhöhte Hörsaalbau wird durch die schmale Randstraße in seiner
Wirkung gesteigert. Bis Ende der 1920 Jahre war sie von einem Gitter umgeben.
Der Hauptzugang zum Fürstengarten
bleibt aber weiterhin die Verlängerung der Oberen Karlsstraße: Vom
Friedrichsplatz kommend zielt sie auf den kleinen Turm der Bibliothek, knickt
aber vor dem Bibliotheksgebäude ab, um in den Fürstengarten zu
münden.
Erhalten sind einige Lagepläne und Zeichnungen,
die eine frühe Planungsphase der Museumsumgebung wiedergeben [ergänzt
März 2020].
Lagepläne:
http://mediatum.ub.tum.de?id=965859
(Lageplan, Entwurf Oktober 1908)
http://mediatum.ub.tum.de?id=965854 (Lageplan,
September 1909)
http://mediatum.ub.tum.de?id=965764 (Lageplan,
1913)
Zeichnungen:
http://mediatum.ub.tum.de/?id=965771
(Blick durch die Königsstraße)
http://mediatum.ub.tum.de?id=965778 (Blick
durch die Allee)
Einige Photographien zeigen den Zustand bei
bzw. kurz nach Vollendung des Museums [ergänzt März 2020]:
http://mediatum.ub.tum.de?id=1262895 (aus
Richtung Wilhelmshöher Allee)
https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1442916676668/1/
(erhöhter Blick, mit Einigungsdenkmal)
http://mediatum.ub.tum.de?id=1262896
(Blick durch die Allee)
http://mediatum.ub.tum.de?id=1262894 (Blick
durch die Allee)
http://mediatum.ub.tum.de?id=1262897 (Blick
von der Weinbergstraße, im Vordergrund die Grünfläche vor dem
Bibliotheksgebäude)
http://mediatum.ub.tum.de?id=1262893 (Blick
vom Platz zum Hörsaal)
Der gesamte Bestand ist hier zugänglich: https://mediatum.ub.tum.de/939241
Quellen,
Literatur (und Bildnachweis):
Adressbücher der Stadt
Kassel.
Landgräflich Hessen-Casselische Staats- und Adresskalender; Kur-Hessische
Staats- und Adresskalender.
Casselische Policey- und Commerzien-Zeitung
von
Buttlar, Adrian: Leo Klenze. Leben –
Werk- Vision, München 1999.
Dörr,
Cornelia: „Eine schöne Vereinigung der Meriten
Krähwinkels mit den Prätenssionen von
wenigstens Berlin“. Adolf Menzel in Hessen (Diss.),
Marburg 1997.
Ehrhardt,
Holger / Friemel, Berthold (Hg.): Wilhelm Grimms Gedankbuch.
Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1820–1822, in:
Brüder-Grimm-Gedenken 2012, S. 1–108.
Fenner,
Gerd: ...das mir gnädigst auf Erbleihe überlassene ehemalige
Ordensgebäude. Das Haus der Arnold’schen
Tapetenfabrik am Wilhelmshöher Platz, in: Der Tapetenfabrikant Johann Christian
Arnold 1758–1842, bearb. von Sabine Thümmler (die Region trifft
sich, die Region erinnert sich), Kassel 1998, S. 36–48.
Ders.: Den schönsten
Zuwachs an bauten ...? Zu Planung und Realität von Architektur und
Städtebau in Kassel zur Zeit des Königreichs Westphalen, in:
König Jérôme und der Reformstaat Westphalen. Ein junger
Monarch und seine Zeit im Spannungsfeld von Begeisterung und Ablehnung, hg. von Helmut Burmeister bei Mitarbeit von Veronika
Jäger, Hofgeismar 2006, S. 353–374.
Gerland, Otto: Geschichte der
Familie Kopp und von Kopp, in: Hessenland 7 (1893),
S. 171–173, 186–188.
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Ludwig Emil: Erinnerungen aus meinem Leben, hg.
von Wilhelm Praesent, Kassel und Basel 1950.
Heidelbach, Paul:
Kassel. Ein Jahrtausend hessischer Stadtkultur, hg.
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Heinrich Christoph Jussow. Ein hessischer Architekt des Klassizismus,
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