Planungen für das Karlshospital:
Rettung oder Verunstaltung eines der letzten historischen Gebäude
der Kasseler Innenstadt?
(Letzter Stand vom 3.3.2008)
I.)
Früherer Zustand und aktuelle Entwürfe
Aufriß der Hauptfassade im
ursprünglichen Zustand
(Holtmeyer,
Tafel 349,1, bearbeitet und koloriert)
Blick vom Großen Finkenherd auf die
Flußseite, 2006;
der Giebel stammt vom Wiederaufbau nach
einem Dachstuhlbrand 1889,
als das Gebäude ein einfaches
Satteldach erhielt.
Entwurf der
Arbeitsgemeinschaft Foundation 5 + Architekten und des Architekturbüros
Sprengwerk
für den Ausbau
der Ruine (HNA vom 19.7.2006)
Weitere Darstellungen des Entwurfes
sind auf der Internetseite von foundation
5+ zu finden; in der Projektbeschreibung heißt es
rücksichtsvoll:
„Durch
die Wiederbelebung eines der wenigen noch vorhandenen Zeugnisse des 18.
Jahrhunderts und der Errichtung des geplanten Finanzzentrums, gewinnt der
Abschnitt des städtischen Fuldaufers einen Teil seiner historischen
Bedeutung zurück. [...]
Die
Einrichtung von Atelier- / Gastronomie- und Büroräumen ergänzt
mit Loftwohnungen, ist für Standort und Gebäudesubstanz
gleichermassen geeignet. Durch einen modernen, reduzierten Ausbau kann schonend
mit dem Bestand umgegangen werden, innerhalb der vorhandenen
Gebäudestruktur ist eine kleinteilige, variable Flächenaufteilung
entsprechend der jeweiligen Nachfrage möglich.“
Im Vergleich:
links der
ursprüngliche Zustand auf Stadt- und Flußseite, rechts die Planung
(C. Presche, gemäß
Originalgraphik des Büros Sprengwerk, HNA vom 9.2.2007)
(Zum
Vergrößern der vier Abbildungen mit der Maus auf die Bilder klicken.
In dem neuen Fenster erscheint beim Berühren der Bilder mit der Maus ein
Vergrößerungssymbol; durch erneutes Klicken auf dieses Symbol
können die Bilder weiter vergrößert bzw. wieder verkleinert
werden.)
Zur Geschichte des Karlshospitals und zu
weiteren Photographien vgl. hier.
II.) Die Hintergründe
1.) Das Wettbewerbsverfahren
Im Zuge des Neubaus eines Finanzzentrums am
Altmarkt soll das Karlshospital zu einem symbolischen Preis an einen privaten
Investor verkauft werden. Zu den Sanierungskosten trägt das Land
Hessen 3,0 Millionen Euro bei. Die Stadt Kassel hat einen
beschränkten Investorenwettbewerb ausgeschrieben, wobei ein
tragfähiges Nutzungskonzept vorgelegt werden mußte.
Der Wettbewerb wurde im Dezember 2005
ausgeschrieben, die Abgabefrist endete am 25. Januar 2006. Bereits zwei Wochen
nach der Ausschreibung waren 20 Anfragen eingegangen. – Die Entwürfe
sollten anschließend in der Bau- und Planungs- und sowie der
Grundstückskommission vorgestellt werden.
(Vgl. HNA vom 17. Dez. 2005 und vom 31.
Dez. 2005.)
Am 19. Juli stellte die Lokalpresse
schließlich den Wettbewerbssieger vor:
Den Zuschlag erhielt ein
Gemeinschaftsprojekt des Büros Sprengwerk / foundation 5+ und des Unternehmers
Gerhard Fels (GFI Immobilien). Das Konzept sieht eine Mischung aus Büros,
Wohnflächen und Gastronomie vor, mit einer zweigeschossigen
Aufstockung des Gebäudes; die zugehörende Fläche an der
Weserstraße soll lediglich für Parkplätze genutzt werden.
Dieses Konzept wurde vom Stadtplanungsamt, der Bau- und Planungskommission
sowie der Grundstückskommission befürwortet.
Die Konzepte und Entwürfe der
Mitbewerber sind ebensowenig bekannt geworden, wie die Ausschreibungskriterien.
Lediglich ein weiteres Konzept
(von Jochen Hohmann, Kassel) ist inzwischen veröffentlicht: Es
enthält eine weitgehende Wiederherstellung des Vorkriegszustandes;
einziges Zugeständnis an die neue Nutzung sind vorgehängte Balkone an
der Flußseite und große Dachflächenfenster. Vorgesehen ist
ebenfalls eine Mischnutzung, mit Gastronomie in den
Kellergewölben und Wohnnutzung in den oberen Geschossen sowie im
Dachgeschoß; zur Weserstraße hin wird das Gelände von neuen
Bürogebäuden abgeschlossen. Das Nutzungskonzept ist also –
bezogen auf das Gesamtvorhaben – dasselbe wie bei GFI und Sprengwerk.
2.) Der Siegerentwurf und der Denkmalschutz
In der Denkmaltopographie Stadt Kassel I
ist zum Karlshospital vermerkt (S. 107): „Kulturdenkmal
aus künstlerischen und geschichtlichen, wegen der Lage am Fuldaufer auch
aus städtebaulichen Gründen.“
Der Wettbewerb fand unter weitgehendem
Ausschluß der Denkmalpflege statt: Noch Anfang November 2006 war das
Landesamt für Denkmalpflege (Denkmalfachbehörde) nicht über den
Wettbewerb und Entscheidung der Stadtverwaltung informiert - fast 4 Monate nach
der öffentlichen Vorstellung in der Lokalpresse. Die Untere Denkmalschutzbehörde
der Stadt Kassel hatte jedoch schon im Sommer sogleich ihre Zustimmung gegeben
(HNA vom 15. Dez. 2006), aber ohne Einbeziehung des Denkmalbeirats
und der Denkmalfachbehörde.
Die Untere Denkmalschutzbehörde ist der jeweilige Gemeindevorstand oder der Kreisausschuß eines Landkreises (§ 3 (2) Hessisches Denkmalschutzgesetz (HDSchG)), wobei die Aufgaben in der Regel durch ein kommunales Amt wahrgenommen werden, die letzte Entscheidungsgewalt aber bei den politischen Funktionsträgern liegt.
Die Denkmalfachbehörde hat vor allem die Funktion einer wissenschaftlichen Instanz: Sie entscheidet, ob es sich um ein Kulturdenkmal handelt, und berät und unterstützt bei Pflege, Unterhaltung und Wiederherstellung von Kulturdenkmälern (§ 4 HDSchG). „Die Denkmalschutzbehörden beteiligen die Denkmalfachbehörde an ihren Entscheidungen. Kommt zwischen unterer Denkmalschutzbehörde und Denkmalfachbehörde kein Einvernehmen zustande, ist die Weisung der obersten Denkmalschutzbehörde einzuholen.“ (§ 18 (3) HDSchG; oberste Denkmalschutzbehörde ist der Minister für Wissenschaft und Kunst, § 3 (1) HDSchG.)
Eine Beteiligung der Denkmalfachbehörden wird auch in Durchführungsbestimmungen des HDSchG vom 11. Mai 2005 gefordert (StAnz. vom 30. Mai 2005, S. 1904-1907): „Wirkungsvoller Denkmalschutz und eine sachgerechte Durchführung des Hessischen Denkmalschutzgesetzes sind nur gewährleistet, wenn untere Denkmalschutzbehörden und die Denkmalfachbehörde vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die untere Denkmalschutzbehörde und die Denkmalfachbehörde sollen sich gegenseitig über alle wichtigen Fragen unterrichten und sich weitestgehend Rechts- und Amtshilfe sowie fachliche Hilfe gewähren.“ (Abschnitt 6, Absatz 1.) Und: „Die untere Denkmalschutzbehörde unterrichtet das Landesamt für Denkmalpflege Hessen von allen aufgrund des Denkmalschutzgesetzes beabsichtigten Entscheidungen und muss dafür das ausdrückliche Einvernehmen des Landesamtes für Denkmalpflege einholen. [...]“ (Abschnitt 6, Abs. 3.)
In denselben Durchführungsbestimmungen ist auch zum Denkmalbeirat festgelegt: „Insbesondere soll der Denkmalbeirat zu wichtigen Entscheidungen der unteren Denkmalschutzbehörde gehört werden, insbesondere [...] vor Maßnahmen, die wesentliche Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes eines Kulturdenkmals betreffen [...]. (Abschnitt 8, Abs. 1.)
Zwar erhält das Gebäude wieder
eine Nutzung, doch wird das Erscheinungsbild erheblich verändert. Dabei
stellt sich die Frage, ob dieser Umgang dem Kulturdenkmal angemessen ist:
Es gilt abzuwägen
zwischen dem Zeugniswert der Geschichte (Veränderungen und
Zerstörung), dem architektonischen und kunsthistorischen Wert eines
Bauzustandes und den Bedürfnissen der Nutzung – ein Verfahren, das
die Grundlage jeder ernsthaften Denkmalpflege bilden sollte.
Eine ausführliche Stellungnahme dazu
befindet sich im Aufsatz
über die Gebäudegeschichte, ab S. 49. Demnach ist der Denkmalwert
vor allem in der Qualität des ursprünglichen barocken Entwurfs und
der ursprünglichen Bestimmung als Erziehungs- und Besserungshaus zu sehen;
als weiterer wesentlicher Aspekt kommt hinzu, daß das Karlshospital
nach den umfangreichen Kriegszerstörungen und Abbrüchen der
Nachkriegszeit als einziges Gebäude in Kassel die typischen Bauformen des
Kasseler Barock repräsentieren kann (strenge Axialität,
schlichte Putzfassaden, Mansarddach mit Zwerchhaus). Der
geschichtliche und architektonische Wert der späteren Veränderungen
und der Kriegszerstörungen ist dagegen nachrangig; im Gegenteil
sind der Nordgiebel von 1889 und die Fenstereinbrüche von 1889 und
1927/28 sogar als Beeinträchtigungen des Kulturdenkmals
anzusehen, ohne daß hier eine eigene neue Qualität entstand. Auch
der Zeugniswert der Kriegszerstörungen ist angesichts der
flächendeckenden Zerstörung Kassels und mehrerer konservierter
Ruinen nur von nachrangiger Bedeutung.
Eine moderne Fortschreibung der
Baugeschichte wäre dann zu rechtfertigen, wenn der Denkmalwert des
Gebäudes gerade auch im Ergebnis der verschiedenen Bauphasen
bestünde oder in der Dokumentation seiner Zerstörung. So
ist man zurecht vom Denkmalpflegeverständnis des 19. Jh. abgerückt,
als etwa in zahlreichen mittelalterlichen Kirchen die Ausstattungen
späterer Epochen zugunsten einer stilreinen Renovierung zerstört
wurden. Zugleich ist es aber auch heute gängiger Stand, bei einer Restaurierung
die ermittelten Bauphasen gegeneinander abzuwägen und (soweit
möglich) die bedeutendste als Grundlage der Restaurierung zu
wählen.
Zwar wird gemäß der aktuellen
Planungen nicht in die vorhandene Substanz eingegriffen, doch gibt es
in der Denkmalpflege sogar den Grundsatz des Umgebungsschutzes:
„Der
Genehmigung der Denkmalschutzbehörde bedarf ferner, wer in der Umgebung
eines unbeweglichen Kulturdenkmals Anlagen errichten, verändern oder
beseitigen will, wenn sich dies auf den Bestand oder das Erscheinungsbild des
Kulturdenkmals auswirken kann.“ (§ 16 (3) HDSchG)
Wenn sich der Gesetzgeber also sogar der
Bedeutung bewußt ist, welche die Umgebung
für ein Kulturdenkmal haben kann – um wie viel mehr
können direkte An- und Aufbauten
die Wirkung beeinträchtigen, selbst wenn sie nicht unmittelbar
die historische Substanz verändern.
Der zweigeschossige Aufbau bildet nun einen
bewußten Kontrast zum historischen Bestand, der Ruinencharakter soll
auch weiterhin betont werden (vgl. HNA vom 9. März 2007). Dadurch wird
gerade die Strenge und Axialität endgültig aufgehoben, die für
den Kasseler Barock charakteristisch war; die Ruineneigenschaft betont aus der
geschichtlichen Abfolge gerade die Zerstörung. Nicht berücksichtigt
wird die hohe städtebauliche und künstlerische Qualität des
ursprünglichen Entwurfs, die den Denkmalwert des Gebäudes
mitbegründet; hier war es gerade das Mansarddach, welches zwischen der
niedrigen Stadtseite mit der direkten Nahsicht auf das Gebäude und der
hohen Flußseite mit der Fernwirkung in der Stadtsilhouette vermittelte.
Nicht berücksichtigt wird außerdem das feine und komplexe System der
ursprünglichen Maßzahlen und Proportionen (vgl. hierzu den Aufsatz über
die Gebäudegeschichte, ab S. 16).
Eine Lösung, die gerade die wichtigen
Denkmaleigenschaften herausarbeitet, sollte deshalb die grundsätzliche
Wiederherstellung des barocken Erscheinungsbildes zum Ziel haben.
Dies bedeutet vor allem, das Mansarddach in
den alten Maßen wiederherzustellen; Dachfenster im Mansardgeschoß
sollten die Axialität aufnehmen und einheitlich gestaltet sein. Die beiden
Zwerchhäuser wären in der ursprünglichen Form
wiederherzustellen, die Fassaden wieder zu verputzen. Der strenge Aufriß
mit der alten Fensteranordnung sollte vor allem auf der Stadtseite so weit wie
möglich wiederhergestellt werden, wo er für die Nahsicht bedeutend
ist.
Die Details des Daches können durchaus
in zurückhaltenden modernen Formen gestaltet werden, zumal
die Quellen auch nicht für eine Rekonstruktion der ursprünglichen
Fenster ausreichen. Daß andere Formen hier möglich sind, zeigt ein
Umbau aus den späten 1860er Jahren, als neue, erheblich größere
Dachfenster eingebaut wurden – die allerdings die Strenge und
Regelmäßigkeit des Aufrisses respektierten.
Dachflächenfenster im oberen Dachgeschoß müßten in
entsprechender Weise in das Gesamtbild eingepaßt werden. Das
große Volumen des Daches bietet dabei interessante Möglichkeiten,
die gewünschte Wohnfläche für Lofts hier unterzubringen und
durchaus auch mit verspringenden Ebenen zu arbeiten – damit ließen
sich moderne Wohnungen mit interessanten Blickbezügen schaffen.
Große Fenster im Mansardgeschoß könnten auf der
Flußseite als Loggien gestaltet werden.
Im Inneren wäre schließlich die
Grundstruktur der Hallen mit den angrenzenden Räumen beizubehalten
und die zerstörte Bogenreihe anzudeutenden (durchaus mit modernen
Elementen), um die Raumproportionen wiederherzustellen. Besonders bedeutend
sind die Reste der Innenarchitektur, wie die Türgewände und die
Gestaltung der Schmalseiten der Hallen. Im alten Haupttreppenhaus wäre die
Dachtreppe des späten 19. Jh. wieder durch die ursprüngliche
Anordnung der Läufe zu ersetzen.
Das Ziel sollte also sein, die wichtigen
Denkmaleigenschaften herauszuarbeiten; dazu notwendige Ergänzungen
könnten durchaus als Zeugnisse eines Wiederaufbaus erkennbar sein und
diesen damit dokumentieren.
3.) Die Diskussion um die Planungen
Zu diesem Thema konnte am 9.8.2006 folgender
Leserbrief in der HNA veröffentlich werden (hier in Originalform):
Barockes Erbe
Zu den Planungen für das Karlshospital
Endlich
eine Perspektive für das Karlshospital! – Eine gute Nachricht?
Leider nicht mehr nach einem Blick auf den Entwurf: Die geplante
Aufstockung erhöht zwar die Wirtschaftlichkeit, aber die ausgewogenen
Proportionen des Gebäudes werden dauerhaft gestört. In einer Stadt
mit reichem historischem Erbe wäre dieser Umgang mit einer Ruine
vielleicht noch vertretbar. In Kassel jedoch ist das Karlshospital
das einzige Bauwerk nach dem Palais Bellevue, das überhaupt noch
einen Eindruck von der barocken Blüte der Stadt vermitteln kann - ein
Wert, der weit über dem Dokumentarwert einzelner Veränderungen und
der Kriegszerstörung anzusetzen ist. Einzig Mansarddach und
Verputz fehlen, einzelne nachträgliche Fenster an der Hauptfassade
wären wieder zu schließen. Wenn ein solches Gebäude also mit
geringem Aufwand in seiner äußeren Form wiederhergestellt
werden kann (zumal exakte Bauaufnahmen und Photographien
vorhanden sind), sollte diese Chance erst recht ergriffen werden. Das
zusätzliche Mansardgeschoß käme sogar den
wirtschaftlichen Aspekten entgegen – allerdings müßte sich die
Phantasie der Architekten darauf beschränken, wie man das fast
vollständig erhaltene Innere einer modernen Nutzung behutsam anpassen
könnte.
Interessant
wäre dabei, welche Lösungen die anderen Mitbewerber
vorgeschlagen haben.
Christian
Presche im Namen des Arbeitskreises für Denkmalschutz und Stadtgestalt
Kassel
(Der Arbeitskreis wird getragen
von:
Gesellschaft für Kultur- und
Denkmalpflege / Hessischer Heimatbund, Niederhess. Zweigverein Kassel e.V.
Verein für Hessische Geschichte und
Landeskunde e.V., Zweigverein Kassel
Verein
Freunde des Stadtmuseums Kassel e.V.)
Kurz zuvor war bereits ein erster
Leserbrief erschienen, in dem Dr.
Hans-Kurt-Boehlke, die Planungen und das Verfahren heftig kritisiert
hatte (Boehlke ist Kunsthistoriker, Begründer des Kasseler Sepulkralkundemuseums
und ehemaliger langjähriger Vorsitzender des Denkmalbeirats).
Am 2. Dez. 2006 beklagte sich der Investor in einem
Zeitungsartikel darüber, daß der Kaufvertrag noch immer nicht vorliege.
Die Abstimmungen seien langwierig, da sehr viele Stellen bei Stadt und Land beteiligt
seien. Der Leiter des Stadtplanungsamts, Heinz Spangenberg, erklärte,
daß es unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben habe, wo
die Grenzen der Sanierung liegen (also eine Frage der Zuschüsse); nun
sei man sich mit dem Investor einig. Das Land verkaufe das Karlshospital an die
Stadt, welche es an den Investor weitergebe und außerdem noch eine
zusätzliche Grundfläche verkaufe. Diese Regelungen
bräuchten Zeit – man sei aber optimistisch, vor Weihnachten eine
Einigung zu erzielen.
Weiter wurde berichtet, daß es im
Denkmalbeirat heftige Kritik an den Planungen gegeben habe; am Ende hätten
aber die Argumente für den geplanten Umbau überwogen.
Tatsächlich hatte die letzte eigene Denkmalbeiratssitzung bereits am 16. Mai 2006 stattgefunden, lange vor der Entscheidung im Investorenwettbewerb... Nach der Kommunalwahl vom 26. März 2006 endete mit dieser Sitzung auch die Tätigkeit des bestehenden Beirats. Üblicherweise erfolgt die Bildung und Einberufung eines neuen Denkmalbeirats für die folgende Legislaturperiode spätestens im Herbst - diesmal war allerdings bis Anfang Dezember noch nicht einmal ein Termin für die erste, konstituierende Sitzung angesetzt worden.
Zwar war der alte Denkmalbeirat am 18. Juli 2006 außerplanmäßig noch einmal zu einer gemeinsamen Sitzung mit der Kulturkommission, der Bau- und Planungskommission und dem Gestaltungsbeirat einberufen worden; dabei wurde aber nur der Sachstand zu Ausbau und Erweiterung des Brüder-Grimm-Museums vorgestellt, welcher ohnehin schon weitgehend aus Presseveröffentlichungen bekannt war. Dieselben Beiräte und Kommissionen wären zwar auch für den Ausbau des Karlshospitals zuständig; die Planungen für das Karlshospital, welche einen Tag später (!) in der HNA der Öffentlichkeit präsentiert wurden, blieben jedoch ohne Erwähnung.
Der
Arbeitskreis für Denkmalschutz und Stadtgestalt gab deshalb am 9.
Dez. 2006 folgende Pressemitteilung heraus:
Im
HNA-Artikel „Bauherr auf heißen Kohlen“ vom 2. Dezember 2006
wird der Eindruck vermittelt, daß der Denkmalbeirat über die
Ausbauplanungen für das Karlshospital beraten und ihnen schließlich
zugestimmt habe („Kritik an Umbauplänen“, Zitat Herrn
Spangenbergs).
Tatsächlich
fand die letzte eigene Denkmalbeiratssitzung am 16. Mai 2006 statt; in der
gegenwärtigen Legislaturperiode gab es noch keine konstituierende Sitzung,
und ein Termin ist bis jetzt noch nicht bekannt. Damit fallen die wichtigen
Entscheidungen zum Ausbau des Karlshospitals gerade in eine Zeit, in der es
faktisch keinen Denkmalbeirat gibt, der darüber aus denkmalfachlicher
Sicht beraten könnte. Dies ist umso problematischer, da bereits der
beschränkte Investorenwettbewerb ohne eine Beteiligung des
Denkmalschutzes durchgeführt wurde.
Diese
Verfahrensweise ist dem Wert des Karlshospitals in keiner Weise angemessen: Es
ist nicht nur eines der wenigen historischen Gebäude im Bereich der
Altstadt, deren Bausubstanz sogar im Inneren weitgehend erhalten
geblieben ist (mit Ausnahme von Holzdecken und Dachkonstruktion), sondern es
repräsentiert auch in einzigartiger Form und Qualität den Kasseler
Barock, der einmal weite Teile der Stadt prägte. Hierin liegt heute auch
die große Bedeutung des Karlshospitals, die über den Zeugniswert
späterer Veränderungen und der Kriegszerstörung zu stellen ist.
Der
vorgesehene Entwurf beeinträchtigt die Wirkung der historischen
Architektur jedoch erheblich: Die hohe Aufstockung verfälscht die gesamten
Proportionen, und die Gliederung der neuen Geschosse stört die klare
Struktur der Fassaden, wie sie für die Zeit um 1700 charakteristisch war.
Dabei
nimmt die Architektur der Aufstockungen nicht einmal auf die gleichzeitigen
Planungen für das benachbarte Finanzzentrum bezug, so daß gerade in
der wirkungsvollen Flußansicht Kassels eine Ansammlung zusammenhangloser
Bauformen entsteht.
Die
hohe Aufstockung läßt sich zudem nicht mit wirtschaftlichen
Zwängen begründen, da nicht nur enorme öffentliche Mittel des
Landes Hessen für den Ausbau bereitgestellt werden, sondern da auch umfangreiches
Gelände zur Verfügung steht, um dort durch flankierende
Maßnahmen eine Wirtschaftlichkeit des Gesamtvorhabens zu
gewährleisten.
Christian
Presche Karl-Hermann
Wegner, Museumsdirektor i. R.
Sprecher
des Arbeitskreises Vorsitzender
des Vereins für Hessische Geschichte
und
Landeskunde e.V.
Am 15. Dez. 2006 erschien daraufhin ein
weiterer Artikel in der HNA. Darin verteidigte die Leiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde der
Stadt Kassel, Marlis Finis-Sauer, die Planungen: Es sei besser, das
Gebäude zu sanieren und mit einem neuen Dach zu versehen, als die Ruine
dem Verfall preiszugeben. „Wir
haben den Planungen zugestimmt.“ Auf Anfrage der HNA bestätigte
sie, daß der Denkmalbeirat tatsächlich noch nicht beteiligt worden
sei. Als Begründung nannte sie, daß der neue Beirat (nach der
Kommunalwahl vom 26. März 2006) noch nicht konstituiert sei; dies werde
erst im Januar 2007 erfolgen
Die erste Sitzung des neuen Denkmalbeirats
kündigte sie für Januar 2007 an – also 10 Monate nach der
Kommunalwahl und kurz nach den
anvisierten Vertragsabschlüssen mit dem Investor.
In demselben Artikel kritisierten
verschiedene Seiten erneut die Planungen: neben dem Arbeitskreis abermals Dr.
Hans-Kurt Boehlke sowie der in Kassel populäre Heimatkundler Hans
Germandi.
Der Investor erklärte allerdings,
daß er keinen großen Spielraum für Änderungen sehe: Alles
sei mit der Stadt abgesprochen, und daran müsse er sich halten.
Die Wettbewerbsfrist endete am 25. Januar 2006, die letzte planmäßige Sitzung des Denkmalbeirats fand am 16. Mai statt, und am 18. Juli wurde der alte Beirat noch zu einer Sondersitzung zum Brüder-Grimm-Museum einberufen, gemeinsam mit der Kulturkommission. Am 19. Juli wurde der ausgewählte Entwurf in der HNA veröffentlicht.
Die
zuständigen Dezernten verteidigten vier Tage später in der
HNA ihre Entscheidung, zumal es keine bessere Alternative gebe: Kulturdezernent
Bürgermeister Thomas-Erik Junge sagte, er sei froh, daß das
Gebäude endlich wieder belebt werde; dabei habe man sich unter den 6
Bewerbern für das beste Konzept entschieden. Auch Baurat Norbert
Witte stellte sich hinter den Entwurf: „Die
Alternative ist doch, daß das seit 60 Jahren nicht genutzte Gebäude
weiter verfällt.“ Die hohe Aufstockung wurde von beiden gutgeheißen:
Witte führte an, daß so etwas in anderen Städten ebenfalls
praktiziert werde und bezog sich auf die Elbphilharmonie in Hamburg. Junge
stützte sich auf den bisherigen Umgang mit historischen Bauten in Kassel
und verwies dabei auf die modernisierten Türme der Martinskirche sowie den
Glasaufbau auf dem Wilhelmshöher Schloß – bezeichnete sich
selbst allerdings als einen Anhänger einer historischen Rekonstruktion.
Im Januar wolle man die Pläne dem
Denkmalbeirat vorlegen und Überzeugungsarbeit leisten.
Beide erklärten außerdem,
daß die Planungen sehr wohl auf das neue Finanzzentrum abgestimmt seien.
In der Animation für das Karlshospital (s. o.) ist im Hintergrund noch das alte Polizeidienstgebäude zu erkennen. Tatsächlich sind die Entscheidungen für das Finanzzentrum auch erst nach dem Wettbewerb für das Karlshospital gefallen.
Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein Aufbau über einem fast fensterlosen Speicherbau der Nachkriegszeit, der Glasaufbau auf dem Wilhelmshöher Schloß rief Proteste der Fachwelt aus dem In- und Ausland hervor.
Der Denkmalbeirat ist im Hessischen Denkmalschutz als ehrenamtliches Unterstützungsgremium für die Denkmalschutzbehörden vorgesehen (§ 3 (3) HDSchG in der Fassung vom 5. Sept. 1986):
„Bei der unteren
Denkmalschutzbehörde soll nach Anhörung der Denkmalfachbehörde
vom Kreisausschuß oder Magistrat ein sachverständiger
weisungsunabhängiger Beirat berufen werden, der die Denkmalschutzbehörden
bei der Durchführung ihrer Aufgaben unterstützt. Der Beirat kann
bestimmte Aufgaben auf ehrenamtliche Vertrauensleute übertragen.“
In den Durchführungsbestimmungen des HDSchG vom 11. Mai 2005 (StAnz. vom 30. Mai 2005, S. 1904-1907) ist festgelegt: „Bei der Auswahl der sachverständigen Mitglieder ist darauf zu achten, dass die Fachgebiete Kunstgeschichte, Architektur, Vor- und Frühgeschichte und (Regional-)Geschichte, das Handwerk und die Grundeigentümer vertreten sind. Darüber hinaus sollte dem Denkmalbeirat auch je ein Vertreter der im Kreistag beziehungsweise der Stadtverordnetenversammlung vertretenen politischen Parteien mit beratender Stimme angehören. [...]“ (Abschnitt 8, Abs. 2.)
Der neue Denkmalbeirat wurde nun wesentlich verkleinert; ein Vergleich der Besetzungslisten zeigt (s. die Internetseiten der Stadt Kassel), daß der Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde, die Gesellschaft für Kultur- und Denkmalpflege / Hessischer Heimatbund, das Hessische Baumanagement (Staatsbauamt), der Architekten- und Ingenieurverein, der Neue Kasseler Kunstverein und die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal nicht mehr um die Nominierung eines Vertreters ersucht wurden. Der neue Beirat besteht nur noch aus den Vertretern der 5 Rathausfraktionen, des Haus- und Grundeigentümer-Verbandes, des Mietervereins, der Kreishandwerkerschaft, des Bundes Deutscher Architekten, des Kasseler Kunstvereins, der Universität Kassel (Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung), der staatlichen Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk.) und des Vereins Freunde des Stadtmuseums; außerdem können bei Bedarf die Vertreter der betroffenen Ämter ohne Stimmrecht teilnehmen (üblicherweise Denkmalschutzbehörde, Landesamt für Denkmalpflege, Bauaufsichtsbehörde etc.). Vorsitzender ist nun (wie der HNA inzwischen zu entnehmen war) der Kulturdezernent selbst.
Auf die Artikel folgten zahlreiche
Leserbriefe und Stellungnahmen
zu dem Thema, in denen wiederholt der Umgang mit historischer Bausubstanz und
mit dem Denkmalschutz kritisiert wurde.
Unterdessen ergriff der Ortsbeirat Wesertor Partei für den Investor: Der
bauwillige Investor dürfe nicht verprellt und damit die Wiederbelebung des
Karlshospitals nicht gefährdet werden. Das städtische Amt für
Stadtplanung und Bauaufsicht wurde bei einer Stimme Enthaltung aufgefordert, „die bürokratischen Hindernisse
möglichst schnell zu überwinden“ (HNA vom 23.12.2006).
Die Verhandlungen verzögerten sich
weiter: Die HNA berichtete am 9. Febr. 2007, daß der Vertrag noch nicht
geschlossen sei, weil Land und Investor sich uneinig seien, wer das Risiko
für mögliche Altlasten tragen solle. - Der Denkmalbeirat habe im übrigen einer Verbindung aus
Alt und Neu zugestimmt, aber mit der Auflage, „dass über die Gestaltung noch einmal gesprochen
wird.“ Daß durch die Verkleinerung des Denkmalbeirats „die erklärten Gegner der
Pläne für das Karlshospital ausgebremst werden sollen“,
bestritt Junge; der Beirat sei verkleinert worden, um ihn handlungsfähiger
zu machen.
Am 10. Februar 2007 veranstaltete der Arbeitskreis für
Denkmalschutz und Stadtgestalt eine Führung zum Karlshospital, mit dem
Titel:
Das Karlshospital in Kassel
Ein bedeutendes Zeugnis der Kasseler
Barockarchitektur
Bauwerk, Geschichte, Umfeld
Führung: Karl-Hermann Wegner,
Christian Presche
Zu dieser Führung kamen trotz
Kälte und Regens etwa 250 Teilnehmer: eine für derartige Veranstaltungen
außergewöhnlich große Zahl, die das allgemeine Interesse der Kasseler
Bevölkerung an diesem Thema bewies. - Unter den Teilnehmern besonders
hervorzuheben sind Frau Stadträtin Brigitte Bergholter als Vertreterin
des Oberbürgermeisters, Herr Dr. Hans-Kurt Boehlke, Herr Hans Germandi,
sowie Angehörige verschiedener Fraktionen im Rathaus und in Ortsbeiräten.
(Vgl. a. Bericht in der HNA vom 12. Februar 2007.)
Stellungnahme Herrn Dr. Boehlkes, datiert
vom 16. Jan. 2007, überarbeitet nach dem 10. Febr. 2007:
Karlshospital Anmerkung
zum Wiederaufbauvorhaben Wenn Kassel vor hat, mit seinen Parks und
musealen Sammlungen Weltkultur- erbeanspruch
anzumelden, dann kann sich das nicht auf die genannten Anlagen und Sammlungen beschränken. Kassel
insgesamt muss sich als Träger kulturellen Erbes beweisen im Bewusstsein,
dass Zukunft nur aus Vergangenheit erwachsen kann – wie ich in das
Goldene Buch der Stadt Kassel schrieb. Als Gutachter habe ich in meinem
Berufsleben nie ein zu bewertendes Objekt isoliert betrachtet, sondern stets in
seinem gestalteten und geschichtlichen Umfeld. Das werden auch die
qualifizierten Gutachter für das Weltkulturerbe so halten. Und dann wäre der unsensible
Umgang mit einem der wenigen historischen Bauten der Stadt – wie
dem Karlshospital – ein Manko. Als Denkmalpfleger habe ich stets betont,
dass jede Zeit ihre eigene Sprache sprechen soll. Geschichte wäre sonst
nicht ablesbar. Aber das Karlshospital stammt nicht aus unserer Zeit. Doch muss
man bei der Sanierung eines historischen Bauwerkes, dessen Erhaltung
von zumeist neuer Nutzung und damit notwendigen baulichen Eingriffen
abhängt, nicht auf den Ausdruck der eigenen Zeit verzichten, zumal es ja
nicht mehr seine alte Funktion hat. Im Innenausbau ist das leichter
möglich. Im äußeren Erscheinungsbild müssen aber Strukturen und Proportionen gewahrt
werden. Auch Baumeister vergangener Zeiten haben Anrecht auf
„Urheberrechtsschutz“ (wenn auch nicht im recht- lichen Sinn). Bis zum Ende des
18.Jhs. galt die Architektur, die Baukunst, als die bedeutendste der bildenden Künste.
Das Können und Gespür der Baumeister für Proportion und Maßstab, zuerst
erkennbar an Baukörper und Fassade, wirkte sich auch auf reine Nutzbauten aus, wie
hier auf ein „Zuchthaus“. Die Statur eines Bauwerks, sein Charakter muss erkennbar
bleiben. So wird es sich weiterhin auch in eine veränderte
städtebauliche Umgebung integrieren. Was man mit dem Karlshospital vor hat, ist
trotz Zustimmung der Baugenehmigungs- behörde und der Denkmalpflege eine
Vergewaltigung. Gegenwärtige Architekten, mit denen ich gesprochen
habe, sind da mit mir einer Meinung. Das Karlshospital, das 1720-21 als
Zuchthaus, nach heutigem Verständnis Erziehungsanstalt, gebaut wurde, hat
mehrere Umnutzungen und Umbauten erfahren. Die jetzige Umnutzung beim Auf-
und Ausbau der Ruine ist also nicht die erste. Schon Holtmeyer stellt in
seinem Inventar der Kasseler Bau- und Kunstdenkmäler fest, dass
Änderungen „den ursprünglichen Charakter des Hauses und seiner Nachbarschaft stark
verwischt haben.“ Die Gründerjahre des 19.Jhs. waren unsensibel. Das könnte
zu Großzügigkeit im Umgang mit der noch erhaltenen Bausubstanz verführen.
Doch ist heute und hier ein gewichtiger Gesichtspunkt für einen sensibeleren
Umgang mit ihr die Rarität historischer Bauwerke in Kassel, bedingt durch
Kriegszerstörung und einen ideologischen Wiederaufbau der Stadt in den 50er Jahren
des 20.Jhs., der Erinnerungen an die einstige Residenzstadt nivellieren
wollte. Der beste Anknüpfungspunkt für
den jetzt geplanten Auf- und Ausbau ist fraglos der Zustand des Gebäudes vor
dem Brand am 8.März 1889, der auch das Mansardgeschoß zerstörte, das
danach durch ein Satteldach mit Krüppelwalm ersetzt wurde. Ein Mansarddach, das den
Eindruck eines solchen Bauwerks des frühen 18.Jhs. wieder erstehen
lassen und damit das stadtbaugeschichtliche Bild bereichern würde, könnte auch
die heutigen Nutzungswünsche befriedigen, wenn man mit dem Mansarddach nicht streng
historisierend umgeht. Der für das äußere Erscheinungsbild
wünschenswerte Corpus eines Mansarddachs könnte für die heutigen
Nutzungsansprüche im Inneren des Mansardgeschosses ausreichend Licht durch breite und
vorgeschobene Gauben bekommen und das obere, mit modernen Mitteln für
Wohnzwecke auszubauende Dachgeschoß durch mit dem Unterbau abgestimmte
Fensterbänder erhellt werden. In das Dach integrierte großzügige Balkons
an der Fuldaseite – es geht ja hier um die Attraktivität des Wohnens am
Fluß – würden die Modernität der Wohnungen im Inneren des Mansardgeschosses unterstreichen.
So wäre auch die Zeit der Sanierung am Beginn des 21. Jhs. genuin
erkennbar, die nicht streng rekonstruiert, aber verantwortungsbewusst
mit dem kulturellen Erbe umgeht, um es durch neue, zeitgemäße
Nutzung zu erhalten, Auch wenn das künftige benachbarte
Finanzzentrum – dem Entwurf nach städtebaulich ein unglücklicher
Riegel vor der Fulda, die ja wieder inner- städtischer Fluß werden soll
– wie die Stadtvillen der Unterneustadt am gegenüberliegenden Fuldaufer ein Flachdach
aufweisen wird und das endgültige Schicksal der Vogt´schen Mühle
noch ungeklärt ist, wird bei der indifferenten Bebauung der umliegenden Häuser der
Weserstraße das Karlshospital mit einer Angleichung an seine historische Gestalt
als Solitär im städtebaulichen Ensemble sich diesem integrierend
zugleich einen Akzent des Besonderen und stadtgeschichtliche Erinnerung setzen und
ihm Glanz verleihen. Das kann der derzeitige Vorschlag nicht. Kassel hat zu wenig überkommene
Baudenkmäler, um unter „Schrumpfungs- bedingungen“ mit ihnen umzugehen.
Zukunft wächst stets aus Vergangenheit. Wenn wir mit dem Erbe verantwortlich
umgehen, dürfen unsere Architekten hoffen, dass man in einer späteren
Zukunft auch ihre Hinterlassenschaft, die dann Vergangenheit ist, behutsam
behandelt. Hans-Kurt-Boehlke |
(Der Text
wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Boehlke zur Verfügung gestellt.)
Nach der Veranstaltung gab der SPD-Ortsverein Wesertor unter dem
Vorsitz Hendrik Jordans eine eigene Stellungnahme heraus (HNA vom 16. Febr.
2007):
Man lehne einen Wiederaufbau nach
historischem Vorbild ab. Mit dem Investor biete sich eine unwiederbringliche
Chance, das Gebäude zu retten, die zur Aufwertung des benachteiligten
Stadtteils genutzt werden müsse. Das alte Kassel, das Hans Germandi in
seinen Vorträgen in Erinnerung rufe, gebe es nicht mehr. „Nicht eine wahrscheinlich nie
kommende und nie zu finanzierende historische Rekonstruktion wird das
Karlshospital retten, sondern nur das Engagement des jetzigen Investors.“
Die Befürworter der Rekonstruktion wären gut beraten, sich diesen
Fakten endlich zu stellen anstatt mit unrealistischen Forderungen die Rettung
des Kasseler Baudenkmals zu verhindern. Natürlich könne man die
Pläne noch verändern, um den Forderungen des Landeskonservators
gerecht zu werden. Dies werde aber nicht zu einer Rekonstruktion führen.
Eine Kostenprüfung für ein Mansarddach ist bis heute nicht bekannt, und demnach wohl auch nicht erfolgt. Der Begriff „Rekonstruktion“ darf außerdem nicht zu der Fehldeutung führen, daß das Zuchthaus von 1721 originalgetreu wiederhergestellt werden solle – dann wäre es tatsächlich nur als Zuchthaus oder Museum nutzbar, abgesehen davon, daß dies an fehlenden Kenntnissen zahlreicher Details scheitern würde. Die beste Gewährleistung für den Erhalt eines Gebäudes ist aber in der Tat eine sinnvolle Nutzung!
Es kann also doch nur darum gehen, das historische Erscheinungsbild soweit wie möglich wiederherzustellen und zugleich den modernen Nutzungsanforderungen zu genügen (etwa durch modernen Ausbau des Mansardgeschosses und dafür geeignete Dachfenster – wie es bereits dem Umbau der 1840er Jahre gelungen war). Daß eine solche Lösung wegen der Kosten unrealistisch sei, entbehrt jeglicher Grundlage; ob es wegen fehlenden Willens von Architekten, Stadtverwaltung und Politikern unrealistisch sein könnte, wäre eine ganz andere Frage. - Hier bleibt nur erneut der Hinweis auf ein noch immer nicht offengelegtes beschränktes Wettbewerbsverfahren und die Frage, zu welchen Ergebnissen eine Aufnahme des Mansarddaches in die Wettbewerbsvorgaben oder sogar ein offener Wettbewerb mit breiterer Beteiligung geführt hätten.
Kurz darauf äußerten sich auch die Kasseler Grünen zu dem Thema (HNA vom
17. Febr. 2007): Das neue Dach solle sich am historischen Vorbild orientieren.
Auch so könne man den heutigen Nutzungsanforderungen gerecht werden. „Der vorgesehenen Planung mit einem
modernen Aufsatz stehen wir sehr kritisch gegenüber“, so der
kulturpolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Klaus Ostermann. Außerdem
müsse das Karlshospital in die Stadtentwicklung zwischen Unterneustadt und
Pferdemarkt einbezogen werden. Die Fraktionsvorsitzende Karin
Müller trat dafür ein, die Diskussion um das Karlshospital in der
Stadtverordnetenversammlung zu führen. Das sei man dem
historischen Standort schuldig.
(Vgl. außerdem ein Interview: http://www.gruene-fraktion-kassel.de/32348.0.html.)
Am 15. Febr. befaßte sich auch der Kulturausschuß der
Stadt mit dem Karlshospital; der Tagesordnungspunkt geriet dabei zu
einem Zwiegespräch zwischen Dr. Klaus Ostermann (Die Grünen) als
Fragesteller und Bürgermeister Junge (CDU); vereinzelte
Beiträge kamen nur von Roswitha Rüschendorf (Die Grünen), Marlis
Wilde-Stockmeyer (Die Linken) und Dr. Monika Junker-John (SPD). Die
übrigen Ausschußmitglieder zeichneten sich
weitgehend durch Schweigsamkeit aus.
Junge bestätigte dabei, daß der
Denkmalbeirat am 9. Jan. 2007 den Planungen zugestimmt habe: Er betrachte den
Umgang mit der Ruine als eine akzeptable Alternative zu einer Rekonstruktion.
Allerdings seien Türen und Fenster mit der Denkmalschutzbehörde
abzusprechen, und der Nordgiebel solle einbezogen werden. Die Untere
Denkmalschutzbehörde sei von Anfang an mit dem Verfahren befaßt
gewesen. Eine zusätzliche Bebauung an der Weserstraße sei von den
Bewerbern nur optional geplant worden, ohne sie in die
Wirtschaftlichkeitsberechnungen einzubeziehen; dies sei auch nicht verlangt
gewesen.
Dr. Ostermann wies darauf hin, daß
das Karlshospital nicht nur aus geschichtlichen Gründen unter
Denkmalschutz stehe, was ein Fortschreiben der Baugeschichte rechtfertigen
könne, sondern auch aus städtebaulichen und (an erster Stelle)
künstlerischen Gründen. Auch sei im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung
mehrfach qualitativ hochwertige Architektur für Kassel eingefordert
worden; wer setze sich nun qualifiziert mit dem künstlerischen und
städtebaulichen Auftrag auseinander?
Junge erklärte erneut, daß er
ein Freund von Rekonstruktionen sei, daß diese in Kassel aber
unüblich wären. Eine moderne und zeitgemäße Intervention
sei denkmalpflegerisch ebenso zulässig: Die Substanz müsse erhalten
werden, und dies werde damit erfüllt. Es gehe nicht um Geschmacksfragen,
sondern um eine intellektuelle Diskussion und die Erhaltungssicherung. Die
Architekten im KAZ (Kasseler Architektur-Zentrum) hätten sich
vehement für die Planungen ausgesprochen, und der Denkmalbeirat könne
keine Architekturkritik üben.
Dr. Monika Junker-John erklärte, sie
sei überzeugt, daß die Bürger überwiegend für eine
historische Rekonstruktion seien; es sei auch eine charmante Aussicht, ein
Stück des alten Kassel wiederherzustellen. Aber sie habe es
akzeptiert, daß diese Lösung wirtschaftlich nicht durchsetzbar sei.
Dr. Ostermann wies zuletzt nochmals auf die
Gesamtwirtschaftlichkeit des Areals hin. Dann wurde der Tagesordnungspunkt
geschlossen.
Die Positionen sind damit die alten; fragwürdig bleibt weiterhin die Haltung der Unteren Denkmalschutzbehörde, daß alles erlaubt sei, sofern nur kein historischer Stein verändert werde. Erschreckend war aber auch das offenkundige Desinteresse der meisten Ausschußmitglieder an dem Thema, das sich bereits bei der Führung am 10. Febr. gezeigt hatte. Noch einmal: Es kann hier nicht darum gehen, eine erstbeste Lösung zu finden, sondern es muß die beste Lösung gesucht werden! Dazu verpflichtet nicht nur die Bedeutung des Baudenkmals, sondern auch die umfangreiche öffentliche Förderung, die das Vorhaben überhaupt erst ermöglicht.
Am 21. Februar war das Karlshospital auch
eines der Themen beim wissenschaftlichen Unterhaltungsabend des Vereins für Hessische
Geschichte und Landeskunde. Die
rege Teilnahme demonstrierte wiederum das hohe öffentliche Interesse.
Im Ortsbeirat
Wesertor war das Karlshospital kurz darauf Tagesordnungspunkt; einer
der Architekten erläuterte dabei den Entwurf; die HNA berichtete am 9.
März:
„Dass
das Karlshospital umgebaut und neu genutzt werden soll, begrüßt der
Ortsbeirat Wesertor, wie er in seiner Sitzung jüngstens per Beschluss
feststellte. Die Bürgervertreter forderten die Verantwortlichen
ausdrücklich auf, diese Chance zur Verbesserung der Lebensqualität im
Quartier zu nutzen. Der Investor möge jedoch prüfen, so der
Beschluss weiter, ob bei dem angedachten Aufbau für das Dach noch bauliche
Veränderungen möglich sind. ,Altes wahren und Neues wagen’
empfiehlt das Stadtteilparlament zur Orientierung.
Im Kern
ging es um die Frage, originalgetreu zu rekonstruieren oder nicht. In der
Kritik stand dabei die geplante Gestaltung des Daches als transparenter Kubus,
womit man ganz bewusst einen Kontrast zur alten Form des übrigen
Gebäudes setzen wolle, wie Michael Majcen von der Firma Sprengwerk zuvor
erläuterte. Gerade die Schlichtheit des Daches würde das historische
Gebäude, das immer mal wieder bauliche Veränderungen erfahren habe,
aufwerten.
Um
den Ruinencharakter des Karlshospitals zu wahren, sollten auch die
Außenwände teilweise so belassen werden, teilweise [d.h. in der
Aufstockung] mit vorpatinierten
Kupferplatten versehen werden. Ende März, nach Abschluss verschiedener
Verhandlungen, werde es erst mit der Konzeption weitergehen.
Der
Investor plane eine kleinteilige Nutzung mit Büros, Gewerberäumen und
Lofts. Es gebe bereits einige, auch jüngere, Interessenten. Man werde
gerne das alte Karlshospital an jüngere Menschen mit kreativen Berufen
vermieten, so Majcen. Dies werde den Stadtteil besonders aufwerten.
Das
Kellergewölbe solle als Veranstaltungsort für die breite
Öffentlichkeit genutzt werden, ebenso der als Natursteinfläche zu
gestaltende Vorplatz. Auch Gastronomie sei vorgesehen im rechten Erdgeschossbereich,
vielleicht auch in Form eines Freisitzes über der Fulda. [...]“
Am 25. Mai 2007 meldete die HNA
schließlich, daß der
Verkauf nun erfolgt sei. Der Beginn der Arbeiten wurde für das
Frühjahr 2008 angekündigt; zuvor solle allerdings eine
Überarbeitung der Pläne erfolgen. Möglicherweise könne das
eigene Konzept mit einem Giebel kombiniert werden [der Nordgiebel von 1889?].
Bei einer Veranstaltung der Freunde des
Stadtmuseums Kassel am 16. August im Karlshospital stellte Architekt Majcen das Nutzungskonzept vor:
Demnach sollen Erd- und Obergeschoß
in der Südhälfte gastronomisch genutzt werden, während in der
Nordhälfte eine Büronutzung vorgesehen ist. Der Keller soll für
Veranstaltungen nutzbar gemacht werden, indem die Einbauten von 1927/28 in der
großen Halle wieder entfernt werden. Die angrenzenden Zellen im
Kellergeschoß sollen an Künstler vergeben werden. In den beiden
neuen Geschosse sind Lofts vorgesehen.
Aktuelle Entwürfe gebe es nicht, man
sei noch in der Diskussion begriffen; mit der Präsentation wolle man
warten, bis die Entwürfe den städtischen Stellen vorgelegt seien.
Im Kulturausschuß
der Stadt wurde am 25. Sept. 2007 erneut das Karlshospital behandelt: Die Stadtverordnete
Roswitha Rüschendorf (Die Grünen) fragte nach dem aktuellen
Planungstand.
Bürgermeister Junge berichtete, daß
eine Arbeitsgruppe des Denkmalbeirats mit den Architekten verhandelt habe:
er selbst als Vorsitzender des Denkmalbeirats, Dietmar Taubert als Vertreter
der Unteren Denkmalschutzbehörde, Alexander Reichel vom Bund Deutscher
Architekten und Gabriela Wolff-Eichel vom Verein Freunde des Stadtmuseums
Kassel [beruflich Mitarbeiterin in einem Bauunternehmen]. Außerdem
Dr. Peer Zietz als Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen /
Außenstelle Marburg.
Gefordert worden sei der Erhalt des
nördlichen Giebels [aus dem Umbau von 1889] und ein Zurücksetzen
des neuen Baukörpers, außerdem sei über die Anordnung der
Öffnungen und das bisher vorgesehene Material verhandelt
worden (mit Grünspan patinierte Kupfer-Lochplatten). Der Giebel bleibe nun
erhalten, das Zurücksetzen scheitere allerdings an der Statik. Alle
Mitglieder der Arbeitsgruppe hätten sich mit dem Ergebnis
einverstanden erklärt. Junge selbst habe zwar seine Präferenz
für eine Rekonstruktion zum Ausdruck gebracht, aber das sei eben
nur seine persönliche Meinung, und die Architekten wollten das
Konzept beibehalten. Die Bausubstanz bleibe ja auch erhalten.
Anschließend solle der überarbeitete Entwurf noch im
Denkmalbeirat vorgestellt werden.
Rüschendorf bedauerte die
Entscheidung, zumal das Planungsbüro mehrfach erklärt habe, daß
eine Rekonstruktion wirtschaftlich machbar sei und von den
Architekten nur gestalterisch nicht gewollt werde.
Der Denkmalbeirat
soll inzwischen den Entwürfen zugestimmt haben.
In einem Zeitungsartikel vom 22. Oktober
(zufällig der Jahrestag der Zerstörung Kassels 1943) verteidigte
Bürgermeister Junge in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des
Denkmalbeirats nochmals den Entwurf:
„Wichtig
sei, dass die Eigenschaft eines Denkmals erhalten bleibe. Beim Karlshospital
etwa sei das gewährleistet. Das soll zwar bald ein neues Geschoss mit
neuem Dach bekommen. Doch weil die historischen Mauern klar vom neuen Teil
abgegrenzt würden, bleibe der ursprüngliche Charakter
erhalten.“
Hierzu erübrigt sich ein weiterer Kommentar...
In der Stadtverordnetenversammlung
wurde am 5. November ein Antrag der Grünen für eine Rekonstruktion
nach historischem Vorbild behandelt. Die HNA berichtete am 7. Nov. dazu:
„Der
vorliegende Entwurf mit einem modernen Aufbau nehme keine Rücksicht auf
die originäre barocke Architektur, so Dr. Klaus Ostermann, der den
Vorstoß der Grünen begründete. So werde die Chance vertan, das
historische Erbe der Stadt sichtbar zu machen.
Dominique
Kalb (CDU) hielt ebenso wie andere Redner dagegen, dass dieser Vorstoß
doch reichlich spät komme. Mittlerweile sei der ursprüngliche Entwurf
überarbeitet worden, vom Denkmalbeirat über die Bau- und Planungskommission
und den Ortsbeirat hätten sich alle Gremien für diese Version ausgesprochen.
Man
müsse auch an die geplante Nutzung des Gebäudes und die
Wirtschaftlichkeit für den Investor denken, so Wolfgang Rudolph (SPD).
Wenn
das Verfahren noch einmal neu aufgerollt werde, bestehe die Gefahr, dass das
Projekt platze, so Norbert Domes (Linke).
Stadtbaurat
Norbert Witte (CDU) verwies darauf, dass nach Jahrzehnten des Verfalls endlich
ein konkretes Nutzungskonzept vorliege.
Auch
Bürgermeister Thomas-Erik-Junge (CDU), der für die Denkmalpflege
zuständig ist, bekräftigte die Entscheidung, die historische Substanz
zu erhalten und das Gebäude mit einem modernen Aufsatz zu gestalten.
Unterstützung
bekamen die Grünen lediglich von Bernd W. Häfner (FWG) und Dr. Marlis
Wilde-Stockmeyer (Linke). Nuray Yildrim (AUF) enthielt sich. Die große
Mehrheit der Stadtverordneten stimmte gegen den Antrag.“
Die Argumentation zeigt sich damit als gebetsmühlenartige Wiederholung der bekannten Positionen, so daß hier nicht mehr darauf eingegangen werden muß.
Vollends grotesk erscheint jedoch der Vorwurf, der Antrag käme nun zu spät: Tatsächlich datiert er bereits vom Februar 2007, und am 26. März stand er zum ersten Mal auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung – zu einem Zeitpunkt also, als noch alles offen war. Tatsächlich wurde der Antrag von Monat zu Monat vertagt, weil er zu weit hinten auf die Tagesordnung gesetzt worden war, und die Bemühungen, ihn mit einer Mehrheit vorzuziehen, scheiterten. Jetzt – nach 7 Monaten (!) – das Thema zwar endlich zu behandeln, aber u.a. mit dem Argument abzuschmettern, es käme nun zu spät ... nun, der Leser möge sich hierzu selbst ein Urteil bilden.
Am 19. Dezember präsentierte die HNA die überarbeiteten Pläne:
„Der
Giebel des Karlshospitals bleibt erhalten, und das aufgesetzte Dachgeschoss
wirkt nun wesentlich leichter. Dachgärten und eine Fassade aus
transparentem Kupferlochblech nehmen dem Aufbau die Schwere. Die Kritik an den
Ausbauplänen für das denkmalgeschützte Karlshospital an der
Fulda hat gewirkt.“
Doch welche Kritik ist hier eigentlich gemeint? Der Abbruch des Giebels aus dem 19. Jh. war das einzige Lobenswerte des ersten Entwurfs – nun aber bleibt er bestehen! Die Dachgärten und die Haut aus Kupferlochblech waren ebenso schon in der ersten Planung enthalten, und die leichte Zurücksetzung bringt keinen erkennbaren Vorteil. Der unrichtige Begriff „Dachgeschoss“ verschleiert lediglich, daß es sich in der Tat um eine massive zwei(!)geschossige Aufstockung handelt.
Die Nutzung sei inzwischen weitgehend
geklärt: Eine Hälfte [die Südseite des Unterbaus] soll von einem
gastronomischen Betrieb eingenommen werden, dessen Betreiber im Keller zudem
Atelier- und Ausstellungsräume einrichten wolle. In der anderen
Hälfte sollen Büros entstehen. In den Neubau wird gemäß
HNA die Firma „Impuls Soziales Management“ einziehen,
außerdem sollen dort drei großzügige Lofts geschaffen werden.
Ende der Woche solle der Bauantrag gestellt
werden, der Baubeginn sei für Mai 2008, die Fertigstellung für Sommer
2009 vorgesehen.
„Bürgermeister
und Kulturdezernent Thomas-Erik-Junge sprach gestern von einem neuen ‚Glanzpunkt für Kassel und die
Stadt am Fluss’. Für den
Denkmalschutz sei entscheidend, dass das Karlshospital mit einem attraktiven
Konzept nutzbar gemacht werde.“
Bei der Erkundung der Gründung sei man
auf Reste der alten Stadtbefestigung gestoßen; die Ergebnisse würden
dokumentiert und in die weitere Planung einfließen.
Der neue Entwurf, gemäß HNA vom 19.
Dez. 2007
Am 2. Jan. 2008 berichtete auch der
EXTRA-Tip im gleichen Sinne über die Vorstellung der Planungen:
„Investor
Gotthard Fels und Architekt Michael Majcen (Sprengwerk) nahmen die Kritik
ernst: Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe des Denkmalbeirats der Stadt Kassel
haben sie die Pläne für das denkmalgeschützte Karlshospital
überarbeitet und unter großem Beifall von Bürgermeister
Thomas-Erik-Junge nun der Öffentlichkeit vorgestellt. Das wichtigste: der
Giebel des Karlshospitals wird in das aufgesetzte Dachgeschoss, das mit
Dachgärten und einer Fassade aus Kupferlochblech versehen ist, integriert.
[...]“
An der Veranstaltung nahmen teil:
Bürgermeister Junge, Architekt Majcen, A. Scheitz und O. Strube von
„Inpuls Soziales
Management“; außerdem von der Baufirma Rennert, die den Auftrag
übernommen hat, T. Gehrke und G. Wolff-Eichel, welche auch der
Arbeitsgruppe des Denkmalbeirats angehört hatte. Die Darstellung des
Nutzungskonzepts stimmt mit dem Bericht in der HNA überein.
Im Fachbereich
Architektur der Universität Kassel war das Karlshospital auch
Thema in einer Ringvorlesung von Prof. Philipp Oswalt (22. Jan. 2008).
Titel der Veranstaltung war
„Kulturelles Erbe + Innovation“
Als Referenten waren Prof. Berthold
Penkhues (Uni Braunschweig) aus Kassel und Matthias Foitzik (foundation 5+;
Entwurf Karlshospital) eingeladen, als Kommentator der Verf.
Leider konnten wegen Krankheit sowohl Prof.
Penkhues als auch der Verf. nicht zur Veranstaltung erscheinen; den Kommentar
des Verf. trug jedoch in Vertretung freundlicherweise Herr Rolf Baumgarten,
Kassel, vor, der sich auch dankenswerterweise bereiterklärt hatte, ihn in
der anschließenden Diskussion zu vertreten. – Der Kommentar
sei nachstehend wiedergegeben:
Architektonische Innovationen
– ohne sie wären viele bedeutende Bauten nie entstanden. Und in
Kassel gäbe es z.B. keine Wilhelmshöhe.
Doch – bedeutet Innovation auch immer zugleich Fortschritt?
Als Karl V. in Cordoba die gotische Kathedrale sah, die man in die Große
Moschee hineingebaut hatte, rief er entsetzt: „Was ihr hier gebaut habt,
gibt es auch andernorts; aber was ihr dafür zerstört habt, war
einmalig in der Welt.“
Es kommt immer auf die Qualität
und die Bedeutung im Einzelfall an – und
diese Frage stellt sich nicht
erst in heutiger Zeit, auch
wenn sich heute das Bewusstsein für historische Architektur
grundsätzlich verändert hat.
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Das kulturelle Erbe ist immer auch
identitätsstiftend und zugleich ein wichtiger Standortfaktor. Doch ohne
Innovation kann auch das Erbe oft nicht erhalten werden – auch
historische Bausubstanz muss veränderten Nutzungsanforderungen angepasst
werden, sonst drohen im schlimmsten Fall Leerstand und Verfall.
Betrachten wir nun das Karlshospital:
Es ist das letzte Beispiel, das hier noch einen Eindruck des typischen
Kasseler Barockstils vermitteln könnte: eine Epoche, die bis 1943
wesentlich zur Identität und zum Ansehen Kassels beigetragen hat –
und zwar über die deutschen Grenzen hinaus! Am Karlshospital finden wir
alle wichtigen Merkmale dieses Stils; sachliche, klare Formen, ein funktionaler
Entwurf, die Proportionen und Maße gut überlegt – das Werk
eines begabten Hofbaumeisters. Die besondere Qualität zeigt sich auch im Umgang
mit dem schwierigen Bauplatz, und hier wird die Funktion der
ursprünglichen Dachform deutlich: Das Gebäude musste auf der
Stadtseite für die Nahsicht konzipiert werden, zugleich aber auf der
Flussseite für die Fernwirkung [Bild 1];
hinzu kommt, dass an der Fulda der Massivbau mit Sockel und Untergeschoss fast
die doppelte Höhe erreicht. Die Antwort auf die verschiedenen
Sichtmöglichkeiten und Blickwinkel war das Mansarddach: Auf der hohen
Flussseite sah man aus der Ferne die volle
Höhe des Dachs [Bild 2]. Stand man
dagegen vor der niedrigeren Eingangsfront [Bild 3],
konnte man wegen des Blickwinkels gerade das Mansardgeschoss sehen – aber
auch nicht mehr: In beiden Fällen ein angemessener Abschluss
des Gebäudes. Insgesamt liegt dem Bauwerk ein gründlich durchdachtes
Konzept zugrunde, das über dem Fuldaspiegel anfängt und am Dachfirst
endet. Mit geringem Gestaltungsaufwand könnte dieses originale Konzept
auch wieder erlebbar gemacht werden: durch ein neues Mansarddach in den
historischen Abmessungen, das Schließen nachträglicher
Fenstereinbrüche, den Abbruch des Nordgiebels und das Wiederverputzen der
Fronten.
Was dadurch wieder entstehen könnte,
wäre für Kassel heute einmalig – was gebaut werden soll, könnte überall
stehen – auf einem Mietshaus der 60er Jahre, auf einem Lagerhaus oder
Bunker, in Kassel, Berlin oder Fernost... Die hohe Qualität des
ursprünglichen Entwurfs ist nicht mehr erkennbar.
Sicher – das Gebäude ist 1889 und 1927 verändert worden
und im Krieg ausgebrannt, und in solchen Fällen hört man oft zwei
Schlagworte:
Das eine heißt „konservieren statt rekonstruieren!“
Tatsächlich aber richtete sich Georg Dehio damit gegen die phantasievollen
Restaurierungen des 19. Jh., die ohne Quellengrundlage erfolgten und oft sogar
die originale Bausubstanz „verbessern“ sollten. Heute wird das
Zitat meist aus dem historischen Zusammenhang gerissen. – In unserem Fall ist die
ursprüngliche äußere Gestalt dagegen gut dokumentiert.
In dieselbe Richtung zielte ursprünglich auch das zweite Schlagwort: die Geschichte
müsse erfahrbar bleiben und fortgeschrieben werden – eine Forderung,
die heute im übrigen
nicht von Historikern, sondern vor allem von Architekten erhoben wird und auch
beim Karlshospital schon zu hören war. – Doch wird eine solche
Reduzierung auf den geschichtlichen Zeugniswert dem Gebäude überhaupt
gerecht? Sollten nicht gerade
für Architekten die
künstlerischen, städtebaulichen und baugeschichtlichen
Qualitäten mindestens genauso wichtig sein? Tatsächlich kennt der
Denkmalschutz alle diese
Kriterien, und seine Aufgabe besteht darin, sie gegeneinander abzuwägen.
Der besondere Wert des Karlshospitals
liegt nun in der künstlerischen, städtebaulichen und
architekturgeschichtlichen Bedeutung des Originalzustands
– durch die späteren, aber reversiblen Veränderungen wird dieser
Wert sogar geschmälert. Auch in der Gebäudegeschichte ist vor allem die ursprüngliche Nutzung sozialgeschichtlich hoch
interessant und in der Baustruktur als einzige bis heute gut
nachvollziehbar.
Kulturelles Erbe und
Innovation – wir brauchen beides, wobei im Einzelfall immer abgewogen
werden sollte. Bei Kulturdenkmälern sollten aber die Denkmaleigenschaften
gewahrt oder wieder herausgearbeitet werden. Für das Karlshospital
würde dies eine grundsätzliche Wiederherstellung der barocken
Struktur bedeuten. Für innovative
Gedanken bleibt aber auch
eine wichtige, dankbare Aufgabe: nämlich diese originale Struktur behutsam
an die geplante Nutzung anzupassen; im Innern des Dachs etwa durch Lofts mit
verspringenden Ebenen, die den großen Dachraum effektiv ausnutzen, am
Äußeren durch Dachfenster, die der Nutzung gerecht werden, aber die
strenge barocke Axialität
aufgreifen – durchaus in der Sprache unserer Zeit, doch im vollen
Bewusstsein für den Wert des historischen Erbes.
Christian Presche
Bild 1 ist
eine Ansicht der Flußseite 1842 (Stich von Wenderoth); vgl. hierzu Christian Presche: Das Karlshospital in
Kassel, Kassel 2008, S. 14 (kann unter
www.presche-chr.de/christian/Karlshospital.htm heruntergeladen werden (1.)
Gebäudegeschichte)).
Bild 2 und 3
sind Fluß- und Stadtansicht im ursprünglichen Zustand (ebd., S. 18
und 4); vgl. oben.
Für die Diskussion war Bild 4 vorgesehen: Ein Umbau des Daches der
späten 1860er Jahre, der zeigt, daß eine verträgliche
Nutzungsanpassung ohne Schwierigkeiten möglich ist, solange die
charakteristischen Merkmale des Gebäudes wie Mansarddach und
Axialität der Fenster gewahrt bleiben (ebd., S. 23).
Literatur und Quellen:
Hermsdorff,
Wolfgang: Ein Blick zurück (88), HN vom 18.1.1964.
Ders.: Ein Blick zurück
(1039). Kröning – die Seele des Karlshospitals, HNA vom 24.3.1984.
Holtmeyer,
Alois: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. VI,
Kreis Cassel-Stadt, Marburg 1923; S. 575-577, Tafel 349.
Für einen Euro zu haben,
HNA vom 17.12.2005.
Karlshospital ist gefragt, HNA
vom 31.12.2005.
Ruine bald in neuen Händen,
HNA vom 19.7.2006.
Bauherr auf heißen Kohlen,
HNA vom 2.12.2006.
Streit ums Karlshospital, HNA
vom 15.12.2006.
Stadt: Das beste Konzept hat
gewonnen, HNA vom 19.12.2006.
Ortsbeirat: Investor nicht
verprellen, HNA vom 23.12.2006.
Verkauf liegt noch auf Eis, und:
Reise in die Geschichte des Karlshospitals, HNA vom 9.2.2007.
Einsatz für Rekonstruktion.
Karlshospital – 250 Menschen besichtigten am Wochenende Ruine des
Bauwerks an der Fulda, HNA vom 12.2.2007.
Karlshospital – SPD gegen
Rekonstruktion, HNA vom 16.2.2007.
Grünen wollen altes Dach
für Karlshospital, HNA vom 17.2.2007.
Unterhaltsame Wissenschaft, HNA
vom 21.2.2007.
Dach steht in der Kritik, HNA
vom 9.3.2007.
Ruine jetzt in neuen
Händen, HNA vom 25.5.2007.
Erste Party im Karlshospital,
HNA vom 7.7.2007.
Altes Gemäuer? Stadt hilft,
HNA vom 22.10.2007.
Karlshospital mit modernem
Aufbau, HNA vom 7.11.2007.
Der alte Giebel bleibt, HNA vom
19.12.2007.
Neues unterm alten Giebel,
EXTRA-Tip vom 2.1.2008.